Wiener Festwochen: Im Videowald der Verweigerung

Kopfkunst: Jeronimo Voss zitiert mit Projektionen Piscators Antifa-Film „Aufstand der Fischer“.[
Kopfkunst: Jeronimo Voss zitiert mit Projektionen Piscators Antifa-Film „Aufstand der Fischer“.[Gal. Friedländer
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Ein langer, langer Parcours aus Kunst und Reden fragt, ob und wie man heute in den Künsten politischen und ökonomischen Widerstand leisten kann.

Wie viel Reflexion verträgt unser Hirn in wie viel Tagen? 100 Gespräche, Diskussionen, Filme, Vorträge, Lesungen, Performances, Konzerte und „Partys“ „in der Tradition des kritischen wie unbequemen Denkens von Thomas Bernhard“ in zehn Tagen in der Kunsthalle Wien (ab 17. Mai). Um einiges mehr als 100 (irgendwann gibt man auf zu zählen) Performances, Autorenreden, Filmvorführungen, Radio- und Fernsehsendungen, Tischgespräche, Lectures und Seminare zu Formen des politischen, ökonomischen und poetischen Widerstands beim „Ausstellungsparcours“ der Wiener Festwochen bis 16. Juni.

Wer soll konsumieren (böses Wort!), was diese kuratorische Tollwut hier auf den Programm-Foldern angerichtet hat? Wer kann zusätzlich all die ausgestellten Videos, Wandtexte, Handouts, Interviews vorwiegend hierzulande wenig bekannter Künstler studieren, die permanent in der Ausstellung zu sehen sind? Verteilt auf drei Standorte noch dazu, in Secession, Akademie der bildenden Künste und im Freiraum des MQ. Die Frustration des Besuchers ist wohl Teil des hier schlummernden kritischen Potenzials, wir haben in Dutzenden politisch motivierten Biennalen, Documenta-Schauen und spröden Generali-Foundation-Ausstellungen gelernt, damit umzugehen. Neu ist das nicht. Aber sie nagt, die Überforderung. Und nährt vor allem die Sehnsucht nach einer großen Setzung. Endlich wieder einmal. Nach Ausstellungen, die uns die Welt im Wortsinn erklären, klarmachen. Und nicht ihre Ratlosigkeit durch Hyperaktivität, Unmassen an Videos und Textarbeiten sowie der Zelebrierung einer ästhetischen Verweigerung verschleiern.

„Die Krise wird nie enden“

Was wird hier, im Parcours „Unruhe der Form“, also behauptet von den sechs Parcours-Kuratoren, die aus Literatur, bildender und darstellender Kunst kommen? Dass in politisch schwierigen Zeiten die Künste näher zusammenrücken, wie sie es schon in den 1920er- und 60er-Jahren taten. Deshalb wird die Kunst jetzt performativer und strebt das Theater in die Kunsträume? Dann muss man der Wandarbeit der Weißrussin Marina Naprushkina recht geben: „Die Krise wird nie enden“, denn die Grenzen zwischen den Künsten sind längst gefallen und nicht mehr wiederherzustellen. Geändert hat sich nur, dass die gute alte Performance in den vergangenen Jahren sichtbarer, musealisiert wurde. Der mit neuen Tanzkonzepten arbeitende Performance-Star Tino Sehgal ist dafür das beste Beispiel, auch er ist hier vertreten, nach seinen Anweisungen windet sich ein „politisches Subjekt“ über den „öffentlichen Raum“ der Secession.

Bleibt noch die relevante Frage, welche Formen Künstler heute finden, um politischen und ökonomischen Widerstand zu leisten – obwohl dennoch niemand auf das iPhone und das Macbook verzichten möchte. Eine Frage, die vor allem vor dem Hintergrund der Karrieren der beiden „Kunst“-Kuratoren Georg Schöllhammer und Hedwig Saxenhuber spannend ist – sind sie doch nicht nur Wiener Konzeptkunst-Ikonen, sondern leiteten kurzzeitig auch die Wiener Kunstmesse „Viennafair“.

Auch hier findet man eine Antwort in einem selten humorigen Schriftbild: „Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber, liebe Mutter, lieber Vater, könnt ihr mir bitte sagen, wer ich bin?“, schrieb Henrik Oleson auf eines seiner ironischen Familienaufstellungsbilder mit Messer, Gabel und Fischdose. Unmöglich, derart existenzielle Fragen in einem Wust von Ansätzen zu beantworten, die von Aktivismus, Marxismus, Modernismus bis Spiritualismus reichen.

Aber es gibt sie, die Ausreißer in diesem seit den 60er-, 70er-Jahren blutleer gewordenen, zum Teil fast sektiererisch einer ästhetischen Verweigerung huldigenden System der Systemkritik. Die Dokumentation von Theatermacher Milo Raus erst im Februar in Moskau aufgeführter – und von der Polizei unterbrochener – Theaterperformance, bei der er legendäre russische Schauprozesse nachspielen ließ, darunter auch den gegen Pussy Riot. Zum Beispiel.

Die größte Entdeckung des „Parcours“ aber sind die überall in der Secession verstreuten Objekte eines Wiener Künstlers, den niemand kennt (polemisch formuliert): Heinz Franks Assemblagen leisten tatsächlich poetischen, politischen und formalen Widerstand. Alles beginnt bei ihm mit Schmierzetteln, auf denen er Gedanken festschreibt. „Das Leben ist schön, und der Tod ist zugegen“, laut etwa eine Notiz. Sie liegt wie beiläufig vom Wind hierhergeweht neben einer brüchigen Tonfigur, die eine schlanke schwarze Marmorsäule umarmt. Ein großer Auftritt eines Unbekannten.

Bis 16. Juni. www.festwochen.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2013)

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