Warum Südtirol "los von Rom" will

Warum Suedtirol will
Warum Suedtirol will(c) EPA (CLAUDIO ONORATI)
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Rom verstößt gegen Südtirols Autonomie. 800 Millionen Euro Einnahmenentzug bürdete ihr "Sparpremier" Monti für 2013/14 auf. Die SVP versucht das (noch) zu ignorieren. Eine Analyse.

Es kracht im Südtiroler Autonomie-Gebälk. Zwischen Brenner und Salurner Klause wächst die Unzufriedenheit darüber, dass man zusehends Teil der italienischen Krise ist. Kürzlich fand ein vom Schützenbund initiierter Unabhängigkeitstag statt. Nie zuvor kamen so viele Menschen unter der Losung „Weg von Italien“ zusammen wie zu Pfingsten in Meran. Die Autonome Provinz Bozen-Südtirol (Haushaltsvolumen fünf Milliarden Euro) ächzt unter der Last der römischen Bürde.

800 Millionen Euro Einnahmenentzug bürdete ihr „Sparpremier“ Monti für 2013/14 auf. Rom bricht damit nicht nur das 2010 in Kraft getretene Mailänder Abkommen, demzufolge 90 Prozent aller Südtiroler Steuereinnahmen direkt in Bozen verbleiben. Roms Vorgehen verletzt auch das Autonomiestatut von 1972, mit dem der Jahrzehnte währende Südtirol-Konflikt beendet wurde und Italien Österreichs Schutzfunktion für die Südtiroler anerkannte.

Rom tritt Autonomie mit Füßen

Indem es Südtirol finanz-, sozial- und steuerrechtliche Bürden auferlegt, ohne das Einvernehmen mit der dortigen Landesregierung sowie dem Landesparlament gesucht zu haben, verstößt Rom klar gegen das Autonomiestatut. Zudem stellen Aussagen, wonach es bei Südtirol um „inneritalienische Probleme“ gehe und die Schutzfunktion Österreichs überholt sei, wie sie Monti von sich gab, die Respektierung einer internationalen vertraglichen Verpflichtung Italiens infrage. Da mögen Landeshauptmann Luis Durnwalder und der Obmann der Südtiroler Volkspartei (SVP), Richard Theiner, noch so sehr beteuern, Rom habe die Autonomie zu respektieren. Die Bürger besänftigen sie damit ebenso wenig wie ihre eigene Sorge darüber, dass die römische Politik die Los-von-Rom-Stimmung begünstigt.

In Südtirol gewinnt eine Diskussion darüber an Breite, ob der Ende des Ersten Weltkriegs von Italien annektierte und im Friedensvertrag von St. Germain diesem zugeschlagene südliche Landesteil Tirols im Stiefelstaat verbleiben oder seine Zukunft anderswo suchen sollte. Die Antworten der politischen Kräfte, die in Bozen, Innsbruck und Wien das Sagen haben, lauten: Mit der EU-Mitgliedschaft Österreichs und dem Entfall der Grenzkontrollen habe der Brenner seinen Charakter als Unrechtsgrenze verloren. Und die SVP sieht die Zukunft des Landes in der „Dynamisierung der Autonomie“ – trotz deren von Rom betriebener Kastration.

Doch die Sammelpartei SVP hat in den vergangenen Jahren merklich an Strahlkraft eingebüßt, ihre Position ist seit der Landtagswahl 2008 geschwächt. Ein Skandal im Landesenergieversorger SEL AG, befördert durch personelle Verflechtungen mit ihr, hat ihr enorm geschadet. Derlei hat es unter dem legendären „Vater der Autonomie“ Silvius Magnago nie gegeben.

SVP ist ausgelaugt und schwach

Die seit 1945 regierende SVP ist ausgelaugt, führungsschwach und durch skandalöse Verfilzung angeschlagen. Die SEL-Affäre belastet Durnwalder, ohne den in der Südtiroler Politik seit 1989 nichts lief. Er tritt mit Ende der Legislaturperiode ab, weshalb die Parteibasis mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst unlängst den Spitzenkandidaten für die Nachfolge bestimmte: Arno Kompatscher, den außerhalb Südtirols unbekannten Bürgermeister der Gemeinde Völs am Schlern, der seinen Mitbewerber Elmar Pichler – als amtierender Landesrat und früherer Obmann Repräsentant der Parteigranden – deklassierte.

Die „weltbeste Autonomie“?

In der Bevölkerung ist das Vertrauen in die Sammelpartei der deutsch- respektive ladinischsprachigen Südtiroler merklich geschwunden. Sie weigert sich, über politische Alternativen zur angeblich „weltbesten Autonomie“ auch nur nachzudenken. Trotz deren von Rom aus betriebener Aushöhlung: Von Silvio Berlusconi über Monti bis zum Ex-Kommunisten Pier Luigi Bersani ist stets die Rede davon, den Provinzen und Regionen mit Sonderstatut „Privilegien“ zu nehmen. Und Neu-Senator Francesco Palermo, den sich Parteichef Theiner aufgrund seines – in der SVP umstrittenen und mit dem Scheitern Bersanis höchst fragwürdig gewordenen – Wahlabkommens mit dem linken Partito Democratico (PD) quasi wie eine Laus in den Pelz setzen ließ, bekundete, die Autonomie sei vom „ethnischen Ballast zu befreien“.

Solche Aussagen müssten eigentlich alle Warnlampen aufleuchten lassen. Weit gefehlt. Stattdessen nimmt die SVP hin, dass Rom nicht nur seine vertraglich verbrieften Verpflichtungen nicht einhält, und ungerührt zur Kenntnis, dass Italien – als Teil der Südschiene – zu den Fußkranken Europas zählt. Und Südtirol damit selbst Teil des Pilzbefalls ist. Wie es nach der Not-Wiederwahl Giorgio Napolitanos zum Staatspräsidenten und unter dem neuen Ministerpräsidenten Enrico Letta politisch weitergeht, der einer höchst brüchigen Großen Koalition aus PD und der PdL des „Widergängers“ Berlusconi vorsteht, erahnt man.

Daher wird an Eisack und Etsch das Motto „Los von Rom“, unter dem sich Freiheitliche (fünf Sitze), Süd-Tiroler Freiheit (zwei Sitze) und Bürger-Union (ein Sitz) trotz gelegentlicher, meist personeller Reibereien vereinen, lauter. Auch in der Südtiroler Jugend findet es verstärkt Gehör, und sogar unter Wirtschaftstreibenden wird die Option von „Südtirol außerhalb Italiens“ nicht (mehr) verworfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.05.2013)

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