Jarolim: Roter Einzelkämpfer an (zu) vielen Fronten

Hannes Jarolim
Hannes Jarolim(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Hannes Jarolim, SPÖ-Justizsprecher in der linksliberalen Tradition Christian Brodas, hat alle Interessenskonflikte bisher unbeschadet überstanden. Nun liegt er mit seiner Parteiführung im Clinch.

Die Genossen in der Löwelstraße und darüber hinaus, allen voran die Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos und Laura Rudas sowie Staatssekretär Josef Ostermayer, der heimliche Parteichef, sollen entsetzt gewesen sein, als sie durch die Austria Presse Agentur und Journalistenanrufe erfuhren, was der SPÖ-Justizsprecher da kurz zuvor im Namen der Partei präsentiert hatte: das neue SPÖ-Justizprogramm – unter anderem mit der Forderung nach Abschaffung der lebenslangen Haftstrafe und einer weitgehenden Entkriminalisierung von Drogendelikten.

Der Vorstoß war mit der SPÖ-Zentrale nicht abgesprochen. Norbert Darabos relativierte umgehend: Das sei nicht Parteilinie, es handle sich nur um ein Zwischenergebnis. „Es sind einige Punkte dabei, die in der Partei nicht konsensfähig sind.“ Vier Monate vor einer Nationalratswahl, so stöhnten die SPÖ-Strategen, sei so ein Signal verheerend. Und wie zum Beweis dafür, konnten sie in den Tagen darauf in den Boulevardzeitungen „Heute“ und „Krone“ nachlesen, wie verheerend so ein Signal vier Monate vor der Nationalratswahl sei.

Hannes Jarolim (58) ist immer wieder für Aufreger gut. Erst am Pfingstmontag wurde publik, dass einem ehemaligen Medizinstudenten der Uni Graz Schadenersatz zugesprochen wurde, weil sich sein Studium wegen zu weniger Plätze in Lehrveranstaltungen verzögert hatte. Dieser hatte die Republik geklagt. Anwaltlich vertreten worden war er von der Kanzlei von Hannes Jarolim. Damit brachte der hauptberufliche Advokat auch seine Partei, die ihr Dogma des freien Hochschulzugangs nur ansatzweise aufzugeben bereit ist und damit überfüllte Studien in Kauf nimmt, in Zugzwang.

Zweimal hatte Hannes Jarolim seine Funktion als Mitglied eines Untersuchungsausschuss im Parlament zurücklegen müssen: Das erste Mal 2001 in der Causa „Euroteam“: Ihm wurde Befangenheit vorgeworfen, weil er die „Euroteam“-Gruppe zuvor in Rechtsfragen beraten haben soll. Dem SPÖ-nahen „Euroteam“-Netzwerk war vorgehalten worden, Fördergelder für eine vom damaligen SPÖ-Bundeskanzler Viktor Klima initiierte Lehrlingsinitiative missbräuchlich verwendet zu haben. Nach gut zehnjähriger Strafverfolgung endete die Causa jedoch mit Freisprüchen für alle Beteiligten.

Das zweite Mal legte Jarolim 2012 den SPÖ-Fraktionsvorsitz im Korruptions-U-Ausschuss zurück, als bekannt wurde, dass er nicht nur im Parlament gegen das Monopol der Staatsdruckerei aufgetreten war, sondern gleichzeitig auch seine Dienste als Anwalt einem Konkurrenten der Staatsdruckerei angeboten hatte. Ein entsprechendes E-Mail hatte allerdings nicht er selbst verschickt. Ein Mandant hatte dies gemacht. Zudem geriet Jarolims Tätigkeit als AUA-Anwalt ins Visier der anderen Parteien. Dies sei mit seiner Tätigkeit als Gesetzgeber im Nationalrat nur schwer vereinbar.

Aus einer Arbeiterfamilie. Sein Engagement bei der AUA kam nicht von ungefähr: Jarolim, aus einer Arbeiterfamilie stammend, hatte seine Karriere in der Rechtsabteilung der Fluglinie begonnen. Sein Jusstudium hatte er sich mit Arbeit auf dem Bau und bei der Post finanziert. Ins Parlament zog der zweifache Familienvater 1994 ein, seit 1998 ist er Justizsprecher. Der Hobbygitarrist, politisch beheimatet in der SPÖ Wien-Leopoldstadt, war viele Jahre auch Präsident der Red Biker, der Motorrad-Vorfeldorganisation der SPÖ.

„Jarolim ist ein Tausendsassa – und dabei verdribbelt er sich eben manchmal“, sagt ein Genosse. Unlängst schrieb er sogar einen offenen Brief an das Landesgericht München, in dem er kritisierte, dass türkische Medienvertreter keinen Sitzplatz beim NSU-Prozess bekommen sollten.

Dennoch: Es hat einen Grund, genauer gesagt mehrere, dass Jarolim trotz der vielen Vorwürfe in der Vergangenheit noch immer SPÖ-Justizsprecher ist. Er gilt als witzig, eloquent und vor allem als politischer Kopf. Im Zeitalter der Pragmatiker und Wendehälse ist er einer, der von einem gefestigten ideologischen Fundament aus in der Lage ist, politische Themen zu analysieren. Und was er juristisch macht, hat zumeist Hand und Fuß. Populist ist er jedenfalls keiner. Vielmehr ein Sozialdemokrat mit Ecken und Kanten. Justizpolitisch ist Jarolim – in der Tradition Christian Brodas – zwar eindeutig links zu verorten. Als Anwalt mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht ist er aber pragmatisch genug, auch die andere Seite, die der Unternehmer, zu sehen und verstehen.

So hat Jarolim auch mit seinem SPÖ-Justizprogrammentwurf weitgehend die Unterstützung der sogenannten „Justiz-Fraktion“ im SPÖ-Klub, also jener Abgeordneten, die im und für den parlamentarischen Justizausschuss tätig sind.

Vor allem zur Zeit der schwarz-blauen Koalition tat sich Jarolim als deren Dauerkritiker hervor – auch oft im Alleingang, da jedoch von der Parteizentrale wohlwollend begleitet. Denn Jarolim versteht sozialdemokratische Justizpolitik auch als Gesellschaftspolitik – und somit als Gegenentwurf zum konservativen Gesellschaftsmodell.

Auch heute noch ist das ÖVP-geführte Justizministerium wiederholt Angriffen vonseiten Jarolims ausgesetzt. „Aber untergriffig ist er nie – und menschlich sehr okay“, heißt es dort. Allerdings ist man auch im Ministerium immer wieder erstaunt, wie sehr die Meinungen Jarolims oft von jenen seiner Partei abweichen.

Lob von ÖVP-Seite. Auch ÖVP-Justizsprecher Michael Ikrath hat viel für Jarolim übrig: „Er ist kompetent, korrekt, sehr wirtschaftsorientiert – und es wirkt sich positiv aus, dass er nicht von der Politik abhängig ist.“ Nur in Fragen des Familien- und Strafrechts gebe es Differenzen. „Da bin ich liberal und er linksliberal“, sagt Ikrath. Jarolims jüngstem, umstrittenem Vorstoß stehe er diametral gegenüber.

Allerdings: So schnell wird es mit dem neuen SPÖ-Justizprogramm, das auch eine deutliche Anhebung der Wertgrenzen bei Vermögensdelikten, die Streichung von Mindeststrafen (bis auf Schwerstkriminalität) sowie des Delikts der Herabwürdigung religiöser Lehren und die Wiedereinführung des Jugendgerichtshofs vorsieht, ohnehin nichts werden. „Vor der Nationalratswahl ganz sicher nicht“, heißt es aus der SPÖ-Zentrale bestimmt.

Jarolims Thesen

Die Abschaffung lebenslanger Haft
ist in Jarolims Entwurf vorgesehen.

Suchtgifthandel soll künftig nur noch strafrechtlich verfolgt werden, wenn er „in größerem Ausmaß“ stattfindet.

Prozessabsprachen: Angeklagte geben gewisse Dinge zu und erhalten im Gegenzug eine mildere Strafe.

Mindeststrafen sollen gestrichen werden – bis auf Schwerstkriminalität.

Herabwürdigung religiöser Lehren: Tatbestand soll abgeschafft werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2013)

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