Wien

Kühlhallen: Eiseskälte in Wien seit 125 Jahren

Minus 20 Grad: Geschäftsführer Roland Spitzhirn in einem der Tiefkühlhäuser der  „Eisfabriken und Kühlhallen Wien“ im 20. Bezirk.
Minus 20 Grad: Geschäftsführer Roland Spitzhirn in einem der Tiefkühlhäuser der „Eisfabriken und Kühlhallen Wien“ im 20. Bezirk. Clemens Fabry
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Früher versorgten die „Wiener Eisfabriken und Kühlhallen“ Gastwirte und Fleischer mit Eisblöcken. Heute lagern hier zigtausende Lebensmittel und Pharmaprodukte bei bis zu minus 30 Grad.

So kalt, denkt man im ersten Moment, wenn man die riesige Tiefkühlhalle betritt, ist es hier ja gar nicht. Doch dann, nach wenigen Sekunden, machen sich die minus 26 bis 27 Grad trotz Haube und sehr dicker, schwerer Leih-Winterjacke bemerkbar. Die Kälte kriecht in die Finger, macht sich im Gesicht bemerkbar. Also doch, ja: Es ist ziemlich kalt hier in einer der Tiefkühlhallen der „Wiener Eisfabriken und Kühlhallen Wien“ im 20. Bezirk.

Die Mitarbeiter, die hier Schachteln voller tiefgefrorener Lebensmittel mit den Gabelstaplern aus den Regalen holen und zum Ausgang führen (wo diese in Lkw verfrachtet werden) sind freilich ungleich besser für die tiefwinterlichen Bedingungen ihres Arbeitsalltags gerüstet: Dicke, bis unter die Ohren reichende Hauben, noch dickere Handschuhe. Und nein, sagt Geschäftsführer Roland Spitzhirn, natürlich ebenfalls mit Haube und dicker Jacke ausgestattet, „an die Kälte gewöhnt man sich nie“.

Im Tiefkühlhaus werden Lebensmittel, aber auch Blutplasma bei bis zu mins 30 Grad gelagert.
Im Tiefkühlhaus werden Lebensmittel, aber auch Blutplasma bei bis zu mins 30 Grad gelagert. Clemens Fabry

Ganz oben auf zehn Metern Höhe (so weit hinauf reichen die Regale hier nämlich), bläst den Mitarbeitern, wenn sie in einer kleinen Kabine hinauffahren, um die Waren zu entnehmen (in der Fachsprache heißt das „manipulieren“) „schon ein Eissturm entgegen“, sagt Spitzhirn. Rund minus 31 Grad hat es ganz oben, aber weil das Kühlsystem, das hier für durchgängige Kälte sorgt, der Luft permanent die Feuchtigkeit entzieht, ist es „eine trockene Kälte, die hält man leichter aus“. Dennoch machen die Mitarbeiter nach 30, spätestens aber 90 Minuten eine Aufwärmpause. Und hier hat die aktuelle Hitze natürlich schon einen Vorteil: Es wird einem, von kalten Inneren kommend, draußen ziemlich schnell wieder warm.

Für Kälte zu sorgen war schon der Grundgedanke, als die Wiener Eisfabrik, wie das Unternehmen salopp auch genannt wird, vor 125 Jahren gegründet wurde. Wobei sich die Aufgaben der Eisfabrik im Laufe der Jahre stark verändert haben: Heute ist man wie erwähnt ein Kühl-Großlager, in dem Groß- und Einzelhändler und Produzenten ihre Lebensmittel ebenso lagern wie große Pharmafirmen Vorprodukte für die Medikamentenproduktion, vorrangig Blutplasma.

Historische Aufnahme eines Pferdegespanns, das die Eisblöcke in die Stadt führte.
Historische Aufnahme eines Pferdegespanns, das die Eisblöcke in die Stadt führte.Wiener Eisfabriken

Als allerdings 1898 die „Vereinigten Eisfabriken“ als Genossenschaft gegründet wurden, war ihre Aufgabe eine andere: Das gemeinsame Unternehmen versorgte die Genossenschafter – Wiener Gastronomen, Zuckerbäcker, Fleischer, Wildbrethändler und Hoteliers – mit Eisblöcken, die ab 1898 am heutigen Standort maschinell produziert oder direkt aus der gefrorenen Donau geschnitten wurde. 1600 Wiener Unternehmer wurden damals täglich mit Eisblöcken zur Kühlung ihrer Waren beliefert: Anfangs brachten Ochsen- und Pferdegespänne, später kleinere Lastkraftwagen, die Eisblöcke und -stangen in die Stadt zu den jeweiligen Lokalen und Geschäften, wo das Eis in Holzkästen gegeben wurde und die Waren kühlte. (Das in Wien immer noch gebräuchliche Synonym „Eiskasten“ für „Kühlschrank“ stammt aus dieser Zeit.)

Später lieferten Laster das Eis an Gastwirte, Hotels und andere Betriebe aus.
Später lieferten Laster das Eis an Gastwirte, Hotels und andere Betriebe aus.Wiener Eisfabriken

Später, als die Stadt zunehmend elektrifiziert wurde, Kühlschränke üblich wurden, verlagerten die „Vereinigten Eisfabriken“ ihr Tätigkeitsfeld: Ab den 1920ern stellte man zusätzlich auch Kohlensäure her, 1941 erstand auf dem Areal in der Traisengasse „das erste Tiefkühlhaus“, sagt Spitzhirn, das bis heute – wenn auch deutlich modernisiert – besteht. Auf dem Firmengelände der Eisfabrik befinden sich auch stillgelegte und verwachsene Eisenbahnschienen (heute ein kleines Paradies für seltene Pflanzen und Vögel „und eine Fuchsfamilie“) , die auch von einer längst vergangene Zeit erzählen: „Früher“, erzählt Spitzhirn, „sind über die Bahngleise vom Schlachthof in St. Marx Schweine- und Pferdehälften und anderes Fleisch hergebracht, hier schockgefrostet und eingelagert worden. Das war viele Jahrzehnte das Hauptgeschäft.“

Wurden wiederum Waren vom Kühlhaus ausgeliefert, erfolgte das teils auch per Zug: Dafür gab es eigenen Lebensmittel-Kühlwagen mit Doppelwänden, in die die Eisfabrik Scherbeneis einfüllte, damit die Kühlkette beim Transport aufrecht erhalten blieb. Heute freilich werden die Waren per (Kühl-)Lkw gebracht und geholt. Manche Firmen, die hier ihre Waren lagern, holen sich die Waren selbst, andere schicken am Vortag eine Liste mit den Mengen, die sie benötigen und die Mitarbeiter der Eisfabrik bereiten diese vor. Pro Jahr, sagt Spitzhirn, finden rund 150.000 „Bewegungen“ statt (also Ein- oder Auslagerungen), dabei werden insgesamt 28.000 bis 29.000 Tonnen an Gewicht bewegt.

Faschingskrapfen ohne Ende

Oft werden riesige Paletten abgeholt, manchmal auch nur kleinere Mengen: Denn neben großen Produzenten und Großhändlern haben sich hier auch kleinere Händler auf einer geringeren Fläche eingemietet: Blattspinat, Steirerkren, Speiseeis, Cordon Bleu, Karottenwürfel: Es gibt (fast) nichts, was nicht tiefgefroren aufbewahrt wird. In der zweiten Kühlhalle etwa lagert derzeit eine unüberschaubar riesige Menge an Faschingskrapfen eines Großbäckers, die wohl erst in der nächsten Faschingssaison abgeholt und aufgetaut werden wird.

Eines der beiden Kühlhäuser der Wiener Eisfabriken.
Eines der beiden Kühlhäuser der Wiener Eisfabriken.Clemens Fabry

Gelagert werden Krapfen und Co in den Kühlhäusern bei rund minus 21 Grad (hier ist es also etwas „wärmer“ als in der großen Halle), vorgeschrieben sind zwar „nur“ minus 18 Grad, man kühlt aber bewusst um einige Grad mehr, um etwa Wärme, die von außen hereinkommt, wenn jemand den Raum betritt, auszugleichen. In jeder Halle und jedem Kühlhaus gibt es mindestens vier Temperaturfühler, die zentral gesteuert werden und sofort anschlagen, wenn die Temperaturen zu sehr steigen würde. Eine kurzzeitige Erwärmung oder eine Unterbrechung der Kühlung, etwa bei einem Stromausfall, würden aber den Waren nichts ausmachen , dennoch haben die Eisfabriken soeben als erste Kühlhalle Wiens ein Notstromaggregat installiert, das bei einem längeren Blackout die gesamten Hallen 72 Stunden lang kühlen könnte.

Als Eisfabrik hat man natürlich auch einen enorm hohen Stromverbrauch, schon seit einigen Jahren hat man sich daher der Nachhaltigkeit verschrieben, die Eisfabriken sind unter anderem in den Bereichen Umwelt- und Energiemanagement zertifiziert. Ein Teil des Stroms kommt von der eigenen Fotovoltaik-Anlage, die auf den Hallendächern installiert wurde und künftig auch weiter wachsen soll. Zudem wird die Abwärme der Kühlung für die Heizung der Bürogebäude verwendet. Seit zwei Jahren darf man sich auch „klimaneutral“ nennen – dies gelingt allerdings bei einer derart großen Energiemenge freilich nur, weil man Kompensationszahlungen vornimmt und damit u.a. Moore und Urwälder in Österreich sichert.

Auf einen Blick

1898 werden die „Vereinigten Eisfabriken und Kühlhallen in Wien“ als Genossenschaft gegründet. Genossenschafter sind u.a. Gastwirte, Hoteliers, Wildbrethändler, Konditoren und Fleischer. Das gemeinsame Ziel: Die eigenen Eisproduktion zur Kühlung ihrer Lebensmittel.

1920er-Jahre: Am Standort im 20. Bezirk (neben der heutigen S-Bahn-Station „Traisengasse“) wird auch Kohlensäure produziert.

1941 entsteht das erste Tiefkühlhaus am Gelände, die bis heute (modernisiert) besteht: Die Eisfabriken verlagern ihre Tätigkeit und beginnen mit der Kühlung von Fleisch und anderen Lebensmitteln.

2023 feiern die Eisfabriken ihr 125-jähriges Bestehen. Der Betrieb ist heute klimaneutral (dank Kompensationszahlungen), gelagert werden hier etwa zur Hälfte Lebensmittel von Groß- und Einzelhändlern und Produzenten sowie Produkte von Pharmaunternehmen wie Blutplasma.

www.eisfabrik-wien.at

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