1988: Die friedlichen Zeiten der Unschuld sind vorbei Lucona-Affäre

Die friedlichen Zeiten der Unschuld sind vorbei
Lucona-Affäre. Wie die Wiener Konditorei Demel, ihre Kunden und Angestellten unter Udo Prokschs langem Schatten leben. Der Alltag der „exzentrischen Vorfälle“ und „Anpöbelungen“.

[12./13. März 1988] Der Demel – eine Konditorei. Die Unschuld, die Verbindlichkeit dieser Assoziation ist längst passé. Der Demel – das ist jetzt Udo Proksch. Und Udo Proksch, das ist der Untergang der „Lucona“. Und die „Lucona“, das ist seit ein paar Tagen eine Anklage wegen „schweren Betrugs“ und „vorsätzlicher Gefährdung durch Sprengmittel“. Die Affäre ist gleichsam die Außenwelt der Konditorei. Darüber witzeln Passanten im Vorbeigehen: die Wiener und die Besucher aus den Bundesländern und aus dem Ausland.

Über die Patina einer einstigen k. u. k. Hofbäckerei hat sich schon der Schatten der Person Udo Proksch gelegt, und jetzt knallt das grelle Licht der gerichtlichen Untersuchung hinein.

Ins Innere des Betriebs dringt dies alles in Form einer hysterisch reklamierten Vorverurteilung und Sippenhaftung, wenn anonyme Anrufer wüste Morddrohungen gegen Prokschs Verwandte und Mitarbeiter ausstoßen. Im Inneren des Lokals aber spürt man zumeist von alledem nichts. Dort rechnet man in größeren Zeiträumen.

Eine Marzipanbüste von Anita Ekberg grüßt Federico Fellini aus der Auslage. „Caro Fellini – Sii il benvenuto a Vienna“. Menschen in grünen Lodenmäntel drängen sich ans Glas und eine Mitvierzigerin kann ihren Gedankenblitz nicht halten: „Die haben's wahrscheinlich in der Lucona nicht brauchen können.“

Drinnen die Flucht der mehrstöckigen Präsentiertische mit den Törtchen und den Zuckerwaren, den kleinen kalten Speisen und den Geschenkkartons mit den Zeichnungen à la Jugendstil. Rechts vom Eingang zwei Zimmer, von einem Schild „Rauchen verboten“ geschützt, hinten der Rauchsalon. Die Damen und Mädchen Serviererinnen in Schwarz, die Leckereien in den grellsten Farben, Zucker in vielgestaltiger Verkleidung. Wem sich hier der Mund nicht wässert, der hat in Wien nichts verloren.

Die Lucona-Affäre hat naturgemäß gewisse Auswirkungen auf die zuletzt von der Handelsauskunftei Schimmelpfeng mit 41 Millionen Schilling angegebenen Umsätze der denkmalgeschützten Konditorei. Der Demel hat seine typische Wiener Stammkundschaft, aber die scheint jetzt teilweise auszubleiben. Es ist auch schon zu „exzentrischen Vorfällen“ mit „Inlandskunden“ gekommen, die gelegentlich das Personal anpöbeln und anspucken.

Rund 60 Prozent der Kunden, die vor allem in der Hauptreisesaison um die 200 Demel-Sitzplätze „raufen“, stammen aus dem Ausland und werden mit Reisebussen in die Innenstadt gekarrt. Dieses Geschäft läuft gut.

„Von einem Verkauf des Lokals ist keine Rede“, werden in der Ch. Demel's Söhne Ges.m.b.H. entsprechende Gerüchte ganz entschieden dementiert. Die Vereinbarung der Konditorei mit dem Kaffeeröster Eduscho bestehe in einem Franchising-Vertrag.  Dadurch wurde Eduscho zum Kaffeelieferanten Demels mit Einfluss auf die Geschäftspolitik. Auf das sonst übliche Eduscho-Zusatzangebot von Messingblumentöpfen bis zur Freizeitbekleidung wurde dankend verzichtet.

Der oft problematische Direktexport von Demel-Patisserie soll künftig durch stärker gewinnversprechende Lizenz- und Know-how-Verträge mit dem Ausland weitgehend ersetzt werden. Mit einem japanischen Kaufhaus in Tokio wurde man bereits handelseins. Dieses Haus gehört eigenen Angaben zufolge der mit „weit unter den kolportierten 100 Millionen Schilling“ verschuldeten Demel Ges.m.b.H. (Grundkapital 3,5 Millionen), zu deren Kreditgebern unter anderem die Länderbank zählt. Die Geschäfte – und ein rigoroses Sparprogramm – führt Udos Bruder Rüdiger Proksch.

Die Konditorei besitzt, so hört man aus dem Demel, zu zehn Prozent Udo Proksch und zu neunzig Prozent die mysteriöse Schweizer Lylac AG, über deren Aktienbesitzer man im Demel schweigt. Hans Pretterebner hat sie in seinem Buch „Der Fall Lucona“ maßgeblich Udo Proksch zugeordnet, was dieser heftig dementiert hat.

Herta Scharsach und Johann Skocek waren Redakteure der „Presse“.

("Die Presse", 165 Jahre Jubiläumsausgabe, 29.06.2013)

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