Geschichte

Als Jude fühlte sich Kreisky erpresst

„Auch diesmal nahm sich der Kanzler viel Zeit.“ Helene Maimann mit Bruno Kreisky.
„Auch diesmal nahm sich der Kanzler viel Zeit.“ Helene Maimann mit Bruno Kreisky.Bruno Ettmayer
  • Drucken

„Herr Doktor Kreisky“, sagte ich leise, „diese Toten lassen mich nicht in Ruhe. Unter den sechstausend Wiener Juden, die diese Brigade ermordet hat, könnte auch meine Großmutter Adele gewesen sein.“ Vorabdruck aus „Der leuchtende Stern“.

Bruno Kreisky war im Frühjahr 1972 in Begleitung eines Beamten vom Kanzleramt zur Universität am Ring gegangen, um sich mit fünfzehn Studierenden über den Staatsvertrag zu unterhalten. Er klopfte an, kam herein, begrüßte unseren Professor, Gerald Stourzh, nickte freundlich und stellte sich vorn hin, den Rücken an das Katheder gelehnt, mit uns auf Augenhöhe. Die linke Hand in der Hosentasche, unterstrich er mit der rechten seine Ausführungen und blieb mehr als eine Stunde. Kreisky war 1955 als Staatssekretär einer der vier österreichischen Verhandler in Moskau gewesen und genoss es, unsere Fragen zu beantworten. Er war der geborene Geschichtenerzähler.

Im Jahr darauf schrieb ich ihm einen Brief und bat um ein Gespräch über seine Jahre in Schweden. Wenige Tage später rief sein Pressesekretär Johannes Kunz an und gab mir einen Termin. Auch diesmal nahm sich der Kanzler viel Zeit. Die junge Frau schrieb an einer Doktorarbeit über Politik im Exil, und er gab ihr das Gefühl, als sei im Moment nichts wichtiger als dieses Gespräch. Dazwischen klingelte die imposante Telefonanlage, er nahm ab, brummte etwas und legte wieder auf. Nachher ging er mit mir ins Vorzimmer, deutete auf einen altväterlichen Schreibtisch und sagte: „Gehn S’, Herr Kunz, geben S’ der Frau Kollegin das Dossier da unten in der linken Lade“, reichte mir die Hand, nickte und verschwand hinter der hohen Tür. Kunz händigte mir eine dicke Flügelmappe aus. Ich legte sie auf den Tisch, schlug sie auf. Stapel privater Briefe, Manuskripte, Interna, Listen, Memoranden, handschriftliche Notizen, alles ungeordnet. Muss ich nicht noch was unterschreiben, stotterte ich. „Aber gehn S’“, sagte Kunz. „Wenn S’ alles durchgeschaut haben, bringen S’ es halt wieder.“

Ein unverzeihlicher Fehltritt

Und nun, auf der Höhe seiner Macht und Popularität, beging der Verehrte einen unverzeihlichen Fehltritt. Friedrich Peter war nichts nachzuweisen, und damit basta! Für weitere zehn Jahre war die Täterdiskussion vom Tisch, um dann an der Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim wie eine Eiterbeule aufzuplatzen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.