Gastkommentar

Die Vermeidungstaktik in der Inklusionspolitik

Peter Kufner
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18 Prozent der Österreicher leben mit Behinderung. Bei zentralen Inklusionszielen tut sich aber nichts, der Aufschrei bleibt aus.

Schon im Jahr 2008 wurde in Österreich mit der UN-Behindertenrechtskonvention ein bedeutendes, völkerrechtlich verbindliches Übereinkommen ratifiziert. Die Republik verpflichtet sich darin, das Menschenrecht Inklusion umzusetzen, damit für Menschen mit Behinderung eine echte Teilhabe in allen Lebens- und Gesellschaftsbereichen ermöglicht wird. Klingt gut, nur die Umsetzung bleibt weit hinter den Vorgaben zurück.

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Der Ball liegt seither bei der Politik und es spießt sich bereits bei der Schaffung der erforderlichen Rahmenbedingungen. Ein vom Ministerrat beschlossener Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention existiert zwar, wesentliche Punkte zur Erreichung von Inklusion werden darin aber nicht oder wenig offensiv angegangen. Dazu kommt, dass die chronische Unterfinanzierung im Inklusionskontext zentrale Etappenziele – etwa die Bereitstellung von Unterstützungspersonal im Schulbetrieb – bereits im Vorfeld zum Scheitern verurteilt.

Schechtes Zeugnis im Herbst

Die Sicherung der Finanzierung würde Priorisierung signalisieren, an beidem mangelt es derzeit: Die Politik wirkt gebremst, schafft keinen nennenswerten finanziellen Rahmen und lebt bei Inklusionspolitik seit Jahren eine Vermeidungstaktik vor. Wie der Österreichische Behindertenrat feststellt, zeichnen sich bei zentralen Inklusionszielen – wie inklusive Bildung oder persönlicher Assistenz – Stillstand oder Rückschritte ab. Dafür wird Österreich Ende des Sommers wohl ein schlechtes Zeugnis ausgestellt bekommen, wenn die Vereinten Nationen die Umsetzung der Konvention überprüfen.

Aktuell scheitert Österreich bei Inklusion – so weit, so dramatisch. Der große Aufschrei wird aber ausbleiben und die Empörung wird sich außerhalb der Szene in Grenzen halten. Daher darf auch in den kommenden Jahren nicht mit großen Fortschritten gerechnet werden. Weshalb ist das so? Inklusion gilt als abstraktes oder vorurteilsbehaftetes Orchideenthema. Dabei leben laut Statistik Austria über 18 (!) Prozent der österreichischen Bevölkerung mit einer Behinderung. Tendenz steigend, berücksichtigt man demografische Entwicklung und Altersstruktur.

Barrieren im Kopf

Unsere Agentur MediaAffairs untersucht und analysiert den öffentlichen Diskurs diverser gesellschaftspolitischer Themen, so auch im Kontext Inklusion. Die Art und Weise, wie sich dieser öffentliche Diskurs gestaltet, trägt maßgeblich zum „Randthemen-Image“ von Inklusion bei: Eine Politik, die das Thema nach Möglichkeit umgeht, Massenmedien, die Inklusion und Menschen mit Behinderung maximal punktuell eine Bühne bieten oder eine Wirtschaft, die hier häufig zaghaft oder ängstlich agiert, verleihen dem Thema einen Beigeschmack von Irrelevanz.

Die Entwicklungen der vergangenen Jahre haben gezeigt, Inklusion ist kein Selbstläufer, nur weil ein rechtlicher Rahmen dafür existiert. Vielfach halten sich hartnäckige Barrieren in den Köpfen und Vorurteile, die Inklusion in der breiten Umsetzung verunmöglichen. Zentrale Dreh- und Angelpunkte sind daher Bewusstseinsbildung und Partizipation. Die Bewerkstelligung großer gesellschaftspolitischer Herausforderungen – von Inklusion über Klimaschutz bis hin zu Frauenrechten – hat meist nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine kritische Masse diese Vorhaben mitträgt. Dafür braucht es neben einem gesetzlichen Rahmen, allen voran auch Awareness und das „Mitgehen“ wichtiger Stakeholdergruppen.

Verzerrte Bilder

Die aktuelle MediaAffairs-Studie über Inklusion im öffentlichen Diskurs zeigt, dass man in Österreich, aber auch in anderen europäischen Ländern noch lange nicht so weit ist. Es existieren in der Öffentlichkeit noch immer sehr verzerrende Bilder über Menschen mit Behinderung. Inszenierungen als bemitleidenswerte Bittsteller und paralysierte Almosenempfänger halten sich konsequent. Es sind dies Bilder, die jahrzehntelang durch exzessiv betriebene, emotionalisierende Spenden- und Charityaktionen von Medien, Wirtschaft oder NGOs mitgeprägt wurden. Ein problematischer Referenzpunkt, weil er Berührungsängste und Vorurteile begünstigt.

Auf der anderen Seite finden Alltagsrealitäten, Talente, Leistungen von Menschen mit Behinderung, Chancen durch Inklusion und die Vielfalt von Behinderung per se in dieser Erzählung keinen Platz. Letztere sind aber zentral, denn in einer nicht-inklusiven Gesellschaft, wo sich Menschen mit und ohne Behinderung häufig immer noch in Parallelwelten – vom Kindergarten bis zum Arbeitsplatz – bewegen (müssen), fehlen persönliche Kontakte und das Miteinander meist. Wo eigene Erfahrungen fehlen, kommt medial, beziehungsweise indirekt vermittelten Bildern und Geschichten eine umso stärkere Bedeutung zu.

Wirtschaft muss mithelfen

Inklusion ist ein Mosaik aus vielen Steinen, das erst vollkommen wird, wenn viele Player daran mitgestalten und ihren Beitrag leisten. Die Verantwortung für die bescheidenen Fortschritte bei Inklusion kann natürlich nicht allein auf die Politik abgewälzt werden. Potenzial zum Gamechanger hat auch die Wirtschaft mit ihren vielen Leitbetrieben: als potenzielle Arbeitgeber, als Produkt- und Dienstleistungsanbieter, als sichtbare Wegbereiter für eine inklusive Gesellschaft und inklusive Strukturen. Als Teil von Diversitäts- und Nachhaltigkeitszielen findet Inklusion als Versprechen längst Einzug in Unternehmensleitbilder.

Was aber zählt, sind konkrete Taten.

Dafür ist entscheidend, dass Inklusion auf Unternehmensebene auch als Business-Case verstanden wird, der wirtschaftlich etwas bringt, nicht bloß als soziales Engagement oder „gute Tat“. Zu Weihnachten einen Spendenscheck für Menschen mit Behinderung zu überreichen ist zwar eine einfach umsetzbare Marketingmaßnahme, aber definitiv kein Akt, der zur Inklusion beiträgt. Erst die Auseinandersetzung mit Themen, wie Barrierefreiheit und die Offenheit für Diversität schaffen Veränderung.

Mehrwert ist messbar

Der positive Mehrwert von Vielfalt im Team auf Leistung, wirtschaftlichen Erfolg oder Mitarbeiterbindung ist sehr wohl messbar. Das Know-How und die Perspektiven von Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen und Talenten ist ein Asset für die große Zielgruppe von Kunden mit Behinderung. Arbeitgeber und Marken, die auf Inklusion, Barrierefreiheit, Diversität oder soziales Engagement setzen, gewinnen in ihrer Reputation und heben sich im Wettbewerb positiv ab.

Es tut sich also ein Chancenfenster auf, wo durch gelebte Praxis Inklusion gelingt. Vielleicht ist dieser Trend hin zu mehr (sozialer) Nachhaltigkeit auch Ansporn für eine mutigere Inklusionspolitik. Schließlich wäre es ein unwürdiges Versagen, wenn ein Land wie Österreich nicht mit größtmöglicher Ernsthaftigkeit und Energie versuchen würde, eine solche Selbstverpflichtung auch zu erfüllen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Beigestellt

Die Autorin:

Maria Pernegger ist Geschäftsführerin der Medienanalyseagentur MediaAffairs mit Sitz in Losenstein (OÖ) und Wien. Sie initiiert u.a. diverse Studien zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen im öffentlichen Diskurs. Die hier erwähnte Studie über „Inklusion und Menschen mit Behinderung“ ist unter www.mediaaffairs.at kostenlos abzurufen.

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