Weltraumwetter

Mehr Vorwarnzeit vor Sonnenstürmen

ESA & NASA/Solar Orbiter
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Einem Grazer Forschungsteam ist es gelungen, Vorgänge im Magnetfeld der Sonne zu simulieren und so Sonnenstürme besser vorhersagen. Künstliche Intelligenz hilft dabei. Die neue Methode könnte das Verständnis des solaren Magnetfelds vorantreiben.

Wird ein Sonnenausbruch direkt beobachtet, dauert es nur Minuten, bis seine hochenergetischen Partikel die Erde erreichen. Forschende in Graz haben eine Methode entwickelt, aus Beobachtungen von Sonnenflecken Vorhersagen zu treffen und so die Vorwarnzeit auf mehrere Stunden zu erhöhen. Auf der Erde machen sich Sonnenstürme meist nur als Polarlichter bemerkbar. Aber für Luft und Raumfahrt bringen sie ein erhöhtes Strahlungsrisiko und können Funktion und Bahnen von Satelliten stören. Außergewöhnlich starke Ereignisse beeinträchtigen auch terrestrische Kommunikations- und Energienetze.

„Der primäre Zweck des Ende 2021 gestarteten Projekts war, die Vorgänge in der Sonnenatmosphäre besser zu verstehen“, berichtet Robert Jarolim vom Institut für Physik der Uni Graz und Hauptautor der Arbeit, die in der Juniausgabe von Nature Astronomy veröffentlicht wurde. Mittels neuartiger, auf künstlicher Intelligenz (KI) basierender Methoden simulierten Wissenschaftler der Uni Graz gemeinsam mit Kolleginnen des Skoltech-Institutes in Moskau die Magnetfelder in der Sonnenatmosphäre. Diese interagieren in komplexer Weise mit der dortigen Materie und erzeugen so die Eruptionen. Deren Auswirkungen auf das Erdmagnetfeld werden als Sonnenstürme bezeichnet.

Simulation ergänzt Beobachtung

Eine Schwierigkeit für das Verständnis dieser Vorgänge ist, dass die Magnetfelder in den oberen Schichten der Sonnenatmosphäre nicht direkt beobachtbar sind. „Zwar kann man Magnetfelder prinzipiell durch Beobachtung von Spektralübergängen messen, aufgrund der extremen Temperaturen und des relativ schwachen Magnetfeldes ist das in der äußersten Schicht der Sonnenatmosphäre, der Korona, schwer möglich“, erklärt Jarolim. Daher müsse man hier in Kombination mit Beobachtungen von Gebieten mit starkem Magnetfeld, die sich durch Sonnenflecken zeigen, auf Simulationen zurückgreifen.

Während bisherige Simulationsrechnungen viele Stunden in Anspruch nehmen, erlaubt die neue Methode die Berechnung und Vorhersage von Sonnenstürmen „fast in Echtzeit“. Dass sich in bestimmten Regionen Energien konzentrieren, lässt sich so bereits mehrere Stunden zuvor feststellen. „Im Fall von Satelliten und empfindlicher Infrastruktur sind die Möglichkeiten eingeschränkt“, räumt Jarolim ein, es sei aber für die Industrie wichtig, die Auswirkungen von Sonnenstürmen besser abschätzen und sich auf mögliche Ausfälle vorbereiten zu können.

Kernpunkt der neuen Methode ist die Verknüpfung physikalischer Modelle mit KI-Training. Weitere Publikationen sind laut Jarolim in der Pipeline. Was den Wissenschaftler besonders begeistert, ist, dass es mit dem gänzlich neuen Ansatz innerhalb kurzer Zeit möglich war, die Genauigkeit der langjährig etablierten Simulationen zu erreichen und bezüglich Rechenzeit zu übertreffen. Laut Jarolim sei dadurch vieles in greifbare Nähe gerückt. Als nächsten Schritt könne man Beobachtungen der Sonnenatmosphäre mit einbeziehen, etwa Messungen im Ultra­violettbereich. Darüber hinaus versprechen Simulationen mit komplexeren Gleichungen ein noch besseres Verständnis der Vorgänge auf der Sonne. Derartige Rechnungen dauern derzeit Wochen bis Monate. Jarolim hofft, dass diese Zeit dank des neuen Ansatzes auf Stunden reduziert werden kann, was die Überprüfung von Modellen und damit das Verständnis der Sonnenatmosphäre deutlich voranbringen könnte.

Prognose für Satellitenbahnen

Mit den Auswirkungen von Sonnenwinden und deren Prognose beschäftigt sich auch ein weiteres unabhängiges Projekt, das gemeinsam von Uni und TU Graz durchgeführt wird. Eine Folge von Sonnenstürmen ist, dass sie die obere Erdatmosphäre aufheizen, die sich dadurch ausdehnt. Das wiederum kann die Bahnen erdnaher Satelliten beeinträchtigen und deren Verweildauer im Orbit verkürzen. SODA (Satellite Orbit Decay) liefert Prognosen mit einer Vorwarnzeit von etwa 15 Stunden über das Ausmaß dieses Effekts und ist seit Mitte Juli offiziell Teil des Space-Safety-Programms der Europäischen Weltraumagentur ESA. 

Lexikon

Sonneneruptionen sind Auswürfe von Strahlung und hochenergetischen Partikeln aus der Sonnenatmosphäre. Die Energie liefern spontane Veränderungen der solaren Magnetfelder.

Das Strahlungsrisiko für Luft- und vor allem Raumfahrt ist durch Sonnenstürme erhöht, und sie können Satelliten stören. Auf der Erde zeigen sie sich als Polarlichter, extreme Ereignisse beeinträchtigen Kommunikations- und Stromnetze.

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