Gastkommentar

ESG ist längst angekommen im Establishment

Peter Kufner
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Extremes Eintreten für Klimaschutz oder Diversität wird auch hierzulande gern politisch instrumentalisiert.

Gespannt wie auf den Spruch des Orakels von Delphi wartet die Finanzwelt alljährlich auf den offenen Brief von Larry Fink. Der 70-jährige CEO von Black Rock – der weltweit größten Investmentgesellschaft, die über zehn Billionen Dollar verwaltet – lässt in nunmehr elfter Auflage in einem 9000 Wörter langen Text wissen, was aus seiner Sicht die wichtigsten Grundlagen und Trends für Investitionsentscheidungen darstellen. (Der Brief erscheint in der Regel zum Jahresbeginn, manchmal, wie in diesem Jahr, auch erst Ende März.) Von 2018 bis 2022 ging Fink jedes Mal explizit auf die Bedeutung von ökologischen und sozialen Aspekten ein und unterstrich gleichzeitig die Relevanz einer verantwortungsvollen Unternehmensführung (ESG-Kriterien „environmental, social, governance“).

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Die Administration von Joe Biden setzt – vor allem mit dem sehr effektiven „Inflation Reduction Act“ – ebenfalls auf die gezielte Unterstützung von Unternehmen, die aktive Innovationspolitik betreiben und dabei die Transformation in eine zirkuläre, dekarbonisierte Wirtschaftsform verstärkt integrieren. Im politischen Diskurs der USA setzen nun bestimmte libertäre und ultrakonservative Kreise innerhalb der republikanischen Hemisphäre auf eine aktive Abkehr von diesem Kurs.

Ist ESG reine Wokeness?

So gründete der republikanische Präsidentschaftskandidat Vivek Ramaswamy mit Strive ein Invest-Unternehmen, das seine Anlagepolitk diametral gegen die Berücksichtigung von ESG-Kriterien ausrichtet. Das sei nichts anderes als ideologisierte, linke „Wokeness“ und habe in Unternehmensstrategien nichts verloren.

Investoren sei Profitabilität wichtig und sonst gar nichts – so sein Tenor, und natürlich ist der libertäre Milliardär Peter Thiel (ein bekennender Gegner der aufgeklärten Demokratie sowie jeglicher regulierenden Einschränkung des Unternehmertums) einer der Hauptsponsoren von Strive.

Als in Larry Finks diesjährigem offenen Brief zwar die Wichtigkeit der Transformation und auch von Nachhaltigkeit betont wurde, ESG-Kriterien selbst jedoch nicht mehr explizit Erwähnung fanden, wurde das vom Anti-ESG-Lager sogleich als „ESG Investment Backlash“ apostrophiert. Eine Abkehr der Investitionscommunity von Ökologie, sozialer Kompetenz und Partizipation als Mit-Kriterien für erfolgreiche Unternehmen wurde herbeigeredet.

Ein ESG-Backlash?

Eine gewisse Analogie zumindest im politischen Diskurs ist ja auch in unseren Breiten festzustellen. Extreme Ausformungen des zivilgesellschaftlichen Eintretens für Klimaschutz oder Diversität, teilweise mit hoher Gewaltbereitschaft, werden auch hierzulande instrumentalisiert, um Akzeptanz dafür zu schaffen, bei Umwelt- und Minderheitenschutz generell einen Gang zurückzuschalten. „Klimaschutz mit Hausverstand“ heißt das dann.

In den USA jedenfalls dürfte die Strategie der Extrem-Konservativen und Libertären nicht verfangen. Zu fest verankert ist die Auffassung, dass ESG-Elemente essenzielle Teile von modernen Un­ter­neh­mens­stra­te­gien sind, die resilient, offen für Tansformationsprozesse und für langfristig tragfähige Geschäftsmodelle sind.

Sogar 70 Prozent der US-Investoren, die sich offen als Republikaner deklarieren, treten (nach einer Studie der Penn State University und der Kommunikationsexperten von ROKK) für Kontinuität bei ESG-Investments ein. Das US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ urteilt, das Larry Finks Eintreten für Klimaschutz schlicht polarisiert hat und einerseits Investments mit klarer Klimaschutzausrichtung gefördert, anderseits auch zur einer verstärkten aktiven Abgrenzung gegenüber diesem Trend geführt hat. Forbes resümiert für die US-Situation, „…dass dieser ESG-Backlash nicht mehr ist als ein Schlagloch auf einer Route, deren Richtung sich dadurch aber kaum ändern wird“.

Keine Anzeichen in Europa

Innerhalb der Europäischen Union wurden mit dem Großprojekt des Green Deal die wichtigsten Eckpfeiler für die Transformation in Richtung Kreislaufwirtschaft und Energiewende eingeschlagen. Wohl werden Teilprojekte des Green Deal nicht von allen politischen Gruppierungen mitgetragen.

Gerade in den vergangenen Wochen wurden vermehrt Stimmen laut, die meinen, dem Green Deal müssten die Giftzähne gezogen werden (Stichwort „Verbrenner-Aus“). Darin kann eine gewisse Ähnlichkeit mit den Entwicklungen in den USA erkannt werden. Von einer echten ESG-Gegenbewegung jedoch, wie sie extreme Kreise in den Staaten herbeizureden versuchen, ist in Europa weit und breit nichts zu erkennen. Im Gegenteil. Das geltende EU Recht verpflichtet Unternehmen (mit gestaffelten Fristen), nach klar definierten Kriterien (Stichwort „Taxonomie“) in ihren Jahresberichten darzustellen, in welchem Ausmaß sie zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele der EU beitragen. An die für diese Berichterstattung generierten Daten und Informationen knüpfen weitere Instrumente an, wie Darstellungen der Lieferketten oder Regelungen, die in Zukunft die Verifizierung und Belastbarkeit von umweltbezogenen Aussagen sicherstellen werden.

Die Einhaltung dieser Bestimmungen ist für die Unternehmen mit teils beträchtlichem Aufwand verbunden, sichert aber den Wirtschaftsstandort Europa gleichzeitig ab, da die Beiträge der Unternehmen zum hohen EU-Schutzniveau für Umwelt, Gesundheit und Menschenrechte klar nachvollziehbar werden. Daraus können und sollen Konkurrenzvorteile entstehen und auch die Grundlagen für interne Managemententscheidungen sowie für Investments verbessert werden. Im Zuge von Übernahmen und Zusammenschlüssen von Unternehmen wird ja schon heute der ESR-Bereich einer gesonderten Due-Diligence-Prüfung unterzogen.

Schluss mit Cancel Culture!

Was auf beiden Seiten des Atlantiks geschieht, ist, dass durch gezieltes Ablehnen von Vorhaben mit ökologischer, sozialer oder ethischer Ausrichtung ein Signal gesetzt wird, das von Aussagen begleitet wird wie: Man muss den aggressiven Bewegungen und Aktionen aus diesem Umfeld einmal die Grenzen aufzeigen. Es muss einmal Schluss sein mit „Cancel Culture“ und „Klimaaktivismus“!

Das trifft den Nerv vieler, ist aber eine allzu durchsichtige Taktik. ESG-Kriterien sind Kernelemente von Innovation geworden, das gilt in den USA und der EU gleichermaßen. Während sich der Wunsch nach einem Backlash also in Amerika in einem Schlagloch auflöste, werden in Europa mit einigen Akzenten in diese Richtung politische Schattenfechterei betrieben und mediales Kleingeld gemacht. Die (inhaltlich vielleicht sogar argumentierbare) Ablehnung von ESG-motivierten Vorhaben erhält eine Begleitmusik, die aggressive Proteste ablehnt, um die Stimmen jener einzufangen, für die offensive Wokeness und kom­pro­miss­lo­ses Eintreten für Kli­ma­schutz und Diversität zum iden­ti­täts­stif­ten­den Feindbild geworden ist.

Point taken. Ein Anti-ESG-Trend ist das jedenfalls nicht.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

„Presse“-Printausgabe 24.8.2023

Die Presse Fotos extern

Der Autor:

Dr. Thomas Jakl ist Biologe und Erdwissenschaftler. Er arbeitete bis 1991 an der Uni Wien, wechselte dann ins Umweltministerium. Er bekleidet national und auf EU-Ebene Führungspositionen im Umweltsektor. Als CSE (Certified Supervisory Expert) ist er Aufsichtsrat zweier Gesellschaften.

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