Serie

„The Bear“: Köstlich, dieser Stress

Panik als Dauerzustand: Carmy (Jeremy Allen White) und Sydney (Ayo Edebiri)
Panik als Dauerzustand: Carmy (Jeremy Allen White) und Sydney (Ayo Edebiri) Chuck Hodes/FX
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Das kleine Serien-Meisterwerk über eine Restaurant-Belegschaft, die ständig am Rande des Zusammenbruchs steht, bekam eine zweite Staffel – und sie ist genau so gut wie die erste. Neu auf Disney +.

Ein Stern wäre schon nett. Sagt Sydney mit einer gespielten Sachlichkeit, die nicht verhehlen kann, dass diese Frau nicht locker lassen wird, bis sie sich nicht nur den Traum vom eigenen Restaurant, sondern auch jenen vom eigenen Sternerestaurant erfüllt hat. Ein Michelin-Stern, nicht mehr: Damit kann man noch bodenständig sein, nah an den Menschen, die in Chicago einfach ein richtig erfüllendes Essen suchen, aber eben auch eine Klasse höher als die anderen.

Freilich: Von einer solchen Auszeichnung ist die Bude, die die ambitionierte Souschefin Sydney und der obsessive Spitzenkoch Carmy gerade aufbauen, weit entfernt. Erst gilt es, bis zum Eröffnungstermin in wenigen Wochen die Wände des Lokals, die beim Restaurierungsversuch schimmelbedingt zerbröselt sind, wieder aufzustellen. Wieder sind Zeit und Geld knapp, wieder trifft Leidenschaft auf Irrsinn: Die kürzlich erschienene zweite Staffel der amerikanischen Miniserie „The Bear“ ist ein guter Grund, sich diesem erzählerisch und stilistisch mitreißenden Kleinod (zu sehen auf Disney+) erneut hinzugeben.

Die erste Staffel der Dramödie war ein Überraschungshit: In dieser kehrte Carmy nach einem kometenhaften Aufstieg in der internationalen Spitzengastronomie in seine Heimat Chicago zurück, um den heruntergekommen Sandwichshop zu übernehmen, den ihm sein drogenabhängiger Bruder nach dessen Suizid hinterlassen hat. Jeremy Allen White (bekannt als hochintelligenter Unruhestifter Lip aus der Serie „Shameless“) brillierte in der Rolle dieses zwischen Schwermut und Hyperaktivität oszillierenden Genies. Mithilfe der talentierten Praktikantin Sydney (Ayo Edebiri) mühte Carmy sich ab, die Effizienz und Ansprüche der High-End-Gastronomie ins gewachsene Chaos dieser Rindfleisch-Bratbude zu bringen. Trauer und familiäre Reibereien, Stolz und Panikattacken, dazu ein Schuldenberg: Einem Druckkochtopf gleich stieg in dieser Küche die Anspannung, während zackig geschnippelt, sautiert und degustiert wurde.

Selbstausbeutung im Gastro-Prekariat

Auch die zweite Staffel erzählt nun von einem rastlosen Tanz am ständigen Limit: Zwar muss Carmy nicht tagtäglich um Einfälle ringen, um am Abend die Fleischlieferung bezahlen zu können. Dafür erweist sich der Plan von der Neueröffnung des Lokals als gehobenes Familienrestaurant in viel zu kurzer Zeit als wahnwitziges Unterfangen.

Serienschöpfer Christopher Storer, der vor „The Bear“ als Regisseur von anspruchsvollen Comedy-Sendungen in Erscheinung trat, gewinnt dem Stress, der hier fast alle Figuren belastet, nicht nur eine anregend wurlige Dramatik ab. Er nutzt ihn auch, um psychologische und zwischenmenschliche Zustände zu erforschen. Wobei gerade in der zweiten Staffel eine neue Zärtlichkeit, ein neuer Optimismus durch die allgegenwärtige Panik hindurchscheint: „You okay?“ fragen die Küchenmitarbeiter einander immer wieder. Ohne die Selbstausbeutung im Gastro-Prekariat, das hier mit durchaus düsterem Realismus geschildert wird, zu romantisieren, macht „The Bear“ auch die Hingabe und den Zusammenhalt fühlbar, ohne die der Wahnsinn wohl nicht auszuhalten wäre.

Und die Freude über die kleinen Triumphe: Wenn es Patissier Marcus (Lionel Boyce) nach langem Üben gelingt, das perfekte Eis-Nockerl auf seine Dessert-Kreation zu setzen. Oder wenn Sydney und Carmy einander beim Erspinnen des Überraschungsmenüs die Zutaten-Bälle zuwerfen: Gefrorene Concord-Trauben. Rinds-Consommé. Geräuchertes Knochenmark. Das hat was, meint Carmy, und Sydney erlaubt sich ein Grinsen. Ganz kurz nur.

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