Döbling

Reise in den Iran in der Zacherlfabrik

Margit Mezgolich am Set ihrer neuen Inszenierung, bei der sich die Schauspieler frei zwischen den 48 Zuschauern bewegen.
Margit Mezgolich am Set ihrer neuen Inszenierung, bei der sich die Schauspieler frei zwischen den 48 Zuschauern bewegen.Jana Madzigon
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Margit Mezgolich adaptiert Romane an theaterfernen Orten. „16 Wörter“ von Nava Ebrahimi spielt nun in der ehemaligen Zacherlfabrik.

Auf der einen Seite unverputzter Backstein eines typisch europäischen Fabrikbaus. Aber auch: eine Kuppel, zwei kleine Minarette, türkise Keramikfliesen mit verschlungenen Ornamenten. Es war vor allem eine Abbildung der Shah-Moschee in Isfahan, die dem Architekten Hugo von Wiedenfeld, wie man heute weiß, als Vorbild für die Zacherlfabrik diente.

Man könnte sich kaum einen Ort vorstellen, der besser passen würde, um Nava Ebrahimis Roman „16 Wörter“ auf die Bühne zu bringen. Wobei „Bühne“ das falsche Wort ist, denn genau auf die Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum will Margit Mezgolich eigentlich verzichten: Es ist „Site Specific Theatre“, das sie mit ihrer 2018 gegründeten Theatergruppe IG Fokus machen will. „Romanadaptionen an theaterfernen Orten“, sagt sie. „Wir suchen immer einen Spielort, der gut zum Thema des Buches passt.“ Sie hatte schon „unzählige unleistbare Lagerhallen“ besichtigt, ehe sie auf die Zacherlfabrik in Unterdöbling stieß.

Das im damals noch „orientalisch“ genannten Stil errichtete Gebäude liegt versteckt in der Nusswaldgasse unweit des Rudolfinerhauses. Einst hatte hier der Unternehmer Johann Zacherl seine „Insecten tödtende Tinktur“ namens „Zacherlin“ produziert. Dessen Nachfahren nutzen das Haus mit dem wilden Garten bis heute; von 2006 bis 2013 in Kooperation mit dem Kunstfonds der Jesuiten auch mit einem eigenen Kunstprogramm. Sie habe die Fabrik entdeckt, sofort angerufen, so den „sehr sympathischen Herrn Zacherl kennengelernt“, erzählt Mezgolich. Schon am nächsten Tag durfte sie die Anlage besichtigen: „Ich habe sofort gewusst, das ist der Ort.“ Weil er nicht beheizbar ist, habe sie den Start sogar extra um fast ein Jahr verschoben.

Prägung durch zwei Kulturen

Mezgolich wartet an diesem Tag vor dem Eingang der Südhalle, in der ihre Adaption von Nava Ebrahimis Roman „16 Wörter“ Premiere hatte. Auf Ebrahimi war sie durch deren Sieg beim Bachmannpreis 2021 aufmerksam geworden. Gleich am nächsten Tag besorgte sie sich deren Debütroman. Selten, sagt Mezgolich, habe sie ein Buch „so aufgefressen“. Ebrahimi, die in Teheran geboren wurde und heute in Graz lebt, schaffe fantastische Figuren, schreibe unterhaltsam und berührend. „Die Prägung durch zwei verschiedene Kulturen und wie es einem damit geht, das habe ich noch nie so einfühlsam, mit so viel Witz und Vorsicht und gleichzeitig Brutalität erzählt bekommen.“

Sehr wohl, erzählt Mezgolich, habe sie darüber nachgedacht, ob sie „als Österreicherin mit oberösterreichischen und irgendwann einmal kroatischen Wurzeln“ überhaupt berechtigt sei, den Roman der gebürtigen Iranerin umzusetzen. Es sei spannend, sich Fragen zu stellen, „die ich mir vor fünf, sechs Jahren noch nicht so intensiv gestellt hätte“. Die Diskussion über kulturelle Aneignung hält sie für berechtigt, auch wenn sie aufgeheizt sei und mitunter übers Ziel hinausschieße. Im konkreten Fall gebe es ja auch einen Anteil über das Leben in Europa, den sie sehr wohl verstehe, „die Hauptfigur wurde ja hier sozialisiert“. Auch die Frage, wie sehr einen die eigene Herkunftsfamilie prägt, sei eigentlich universell.

Im konkreten Fall sei es ihr jedenfalls aber wichtig gewesen, das Stück durch Schauspielerinnen mit persischen Wurzeln zu besetzen, sagt Mezgolich. Sie zu finden, sei nicht einfach gewesen; fündig wurde sie in Jasmin Shahali und Ariana Schirasi Fard. Shahali spielt nun Mona, die nach dem Tod der Großmutter ein letztes Mal in den Iran fährt. „Maman Bozorg“, die Großmutter, ist auch das erste jener titelgebenden 16 Wörter, anhand derer sich für Mona ihre eigene Familiengeschichte erschließt (Plot-Twist inklusive).

Gegründet hat Mezgolich die Theatergruppe IG Fokus 2018. Damals inszenierte sie Anna Weidenholzers „Der Winter tut den Fischen gut“ über eine langzeitarbeitslose Frau in einem aufgelassenen Geschäftslokal im 14. Bezirk. Mit Daniel Wissers Sterbehilferoman „Königin der Berge“ in der Kunsttankstelle Ottakring wurde ihre Truppe 2020 für einen Nestroy nominiert.

Ihre erste freie Theatergruppe, für die sie notgedrungen auch selbst die Stücke schrieb, hatte Mezgolich schon in den Neunzigern gegründet. Später war sie Gründungsmitglied des TAG in der Gumpendorfer Straße, einige Jahre dessen künstlerische Leiterin. 2013 gab sie die Position auf. „Ich versuche, höchstens vier bis acht Jahre an einem Ort zu bleiben, dann muss ich mich neu fordern.“ Seither arbeitet sie wieder als freie Autorin und Regisseurin, zuletzt schrieb sie auch das Libretto für die Kinderoper „Die Entführung ins Zauberreich“, eine auf Mozarts „Entführung aus dem Serail“ basierende Wanderoper durch das Haus am Ring. Aktuell ist der Folgeauftrag in Arbeit: „Das verfluchte Geisterschiff“.

Zur Person

Margit Mezgolich ist Regisseurin und Autorin. 2005 war sie Gründungsmitglied des TAG, 2009 bis 2013 dessen künstlerische Leiterin. Danach leitete sie das Herrenseetheater Litschau, 2018 gründete sie die IG Fokus. „16 Wörter“ von Bachmannpreisträgerin Nava Ebrahimi: Romaneinrichtung für 48 Zuschauer in der Zacherlfabrik. Bis 9. September, Reservierung: ig-fokus@gmx.at

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