Filmkritik

Im Iran gibt es Freiheit nur im Auto

Dem Buben wird eine heile Welt vorgegaukelt: „Hit The Road“, ein Roadmovie aus dem Iran.
Dem Buben wird eine heile Welt vorgegaukelt: „Hit The Road“, ein Roadmovie aus dem Iran.Panda Film
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Panah Panahi ist der Sohn des inhaftierten Regisseurs Jafar Panahi. In „Hit The Road“ erzählt er eine Familienkomödie als Allegorie für die Unterdrückung im Iran.

Kinder spielen gern Totstellen. Sie regen sich nicht, tun, als seien sie tot. Obwohl der Tod die ernsteste Sache der Welt ist, reagieren die „Lebenden“ mit Erheiterung oder simuliertem Schrecken. Der Knabe im iranischen Roadmovie „Hit the Road“ variiert das Spiel. „Wo sind wir?“, fragt seine gerade erwachte Mutter bedeutungsschwer. „Wir sind tot“, antwortet der quirlige Bub, der soeben eine Schubert-Sonate auf einem Klavier gespielt hat, dessen Tasten auf dem Gipsbein seines Vaters gemalt sind, der neben ihm auf der Rückbank schläft…

Gleich die erste Einstellung, die die vierköpfige Familie in einem PKW zusammengepfercht zeigt, legt die Stimmung des Films fest. Es geht hier um Existenzielles wie den Tod und Politisches wie Verfolgung und Zensur. Aber dadurch, dass die Familie dem Kind eine heile Welt vorgaukelt, wirkt alles wie ein trügerisches Kinderspiel. Regisseur Panah Panahi kennt sich mit sowas aus. Immerhin ist er der Sohn von Jafar Panahi, jenes iranischen Filmemachers, der wegen seiner angeblich staatsfeindlichen Werke und seiner Kritik am Mullah-Regime seit Jahren nicht mehr drehen darf – und immer wieder verhaftet wird, wenn er es doch tut. So filmte er „Taxi“ in einer motorisierten Droschke mit einer Überwachungskamera.

Die Schwester floh vor Jahren

Panah hat sich die filmischen Guerilla-Methoden von seinem Vater teils abgeschaut. Gleichwohl verfügt er über mehr Equipment, Budget und Freiheiten. Beeindruckend, was er und sein Kameramann Amin Jafari an Erzählkraft und visueller Opulenz aus dem engen Auto herausholen. Sobald die Figuren es verlassen, schrumpfen sie in weitläufigen Totalen auf Ameisengröße. Offenbar soll sie das vor den Blicken feindseliger Autoritäten schützen. Inspiriert ist die Geschichte von der Flucht seiner Schwester, die auf Anraten ihres bedrängten Vaters vor Jahren das Land verließ. Ihr Name tauchte in Verhören auf.

Anders als Jafar wählt Panah einen versteckteren Weg der Kritik am System. Er lässt den kleinen Bruder nur unbewusst spüren, dass ihm die Älteren eine schreckliche Wahrheit vorenthalten. Dessen überdrehte oder zornige Anwandlungen sind eine Reaktion auf Unausgesprochenes. Mehrmals flüchtet er gedanklich nach Hollywood. In einem maskierten Fremden, der in Wirklichkeit kein kostümierter Wegweiser, sondern ein bedrohlicher Schlepper ist, der anonym bleiben will, erkennt er den „Batman“-Schurken Scarecrow wieder, der seine Opfer mit angstauslösendem Gift besprühte – allegorisch passend zur toxischen Stimmung im Iran.

Und wie die Erwachsenen dem Kind die Realität verschweigen, um ihm keine Angst einzujagen, überspielen sie untereinander ihre traurigen Gefühle. Im Iran gibt es für diese Art des höflichen Totschweigens bitterer Wahrheiten den Ausdruck „taarof“, was so viel bedeutet wie gute Miene zum bösen Spiel machen. Ähnlich wie in Roberto Benignis „Das Leben ist schön“ ist der Kleine aber auch Adressat einer humanen Täuschung, andernfalls müssten ihm die Erwachsenen erklären, dass sie keinen abenteuerlichen Ausflug unternehmen, sondern den großen Bruder auf einer gefährlichen Flucht zur türkischen Grenze begleiten.

Den Zensurbehörden legte Panahi ein Alibi-Drehbuch vor, um „Hit the Road“ drehen zu können. Wie das Kind sollten sie im Glauben an die Harmlosigkeit der Geschehnisse gelassen werden.

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