Popkritik

Feist live in Wien: „Klatschen wie bei Mötley Crüe!“

Was zählt, ist Dramaturgie: Feist beim Konzert im Wiener Gasometer.
Was zählt, ist Dramaturgie: Feist beim Konzert im Wiener Gasometer.APA / Georg Hochmuth
  • Drucken

Die Kanadierin Leslie Feist gastierte nach sechs Jahren Pause wieder in Wien. Im ersten Teil gab es Folk pur, im zweiten wurde Gas im Gasometer gegeben.

Was für eine Dramaturgie. Eine gute Stunde lang stand Feist solo auf einem kleinen Podium im Publikumsraum, deklamierte, sang und scherzte in einer Intimität, die zuweilen kribbelig machte. Dann kam der erlösende Song: „I Took All My Rings Off“. Von den Fingern, von den Ohren und sogar aus ihren Träumen streife sie jeglichen Zierrat ab, sang sie – und wandelte dabei endlich hinauf auf die eigentliche Bühne. Ein Vorhang fiel, und die geballte Energie ihrer Band zischte in die Ohren des nach Lärm dürstenden Publikums.

Nein, Ornamente mag sie nicht. Da ist sie fast so streng wie der hiesige Architekt Adolf Loos, der ja selbige als eine Art Verbrechen brandmarkte. Strengen Kriterien legte sich Feist in der Vergangenheit auch an, was ihre Karriere betrifft. 2008 war sie für vier Grammys nominiert, stand an der Schwelle zu einer fetten Weltkarriere. Wie reagierte sie? Sie zog sich für ein paar Jahre zurück. Diese Frau will sich den Zumutungen des Business nicht völlig aussetzen. Auch nicht dem üblichen Rhythmus von Albumveröffentlichung und anschließender Tour.

Wer braucht denn Virtuosität?

Sechs Jahre lang war sie vor diesem Auftritt nicht mehr in Österreich. Der Gasometer war gut besucht, aber nicht prall gefüllt. Wohl auch, weil die Tour erst von wenigen Wochen spontan angedacht wurde. So ist die mittlerweile auch schon 46jährige Singer/Songwriterin aus dem entlegenen Westen Kanadas eben. Eine gewisse Sprunghaftigkeit und der ungebrochene Wille zur Improvisation zeichnen sie aus, und das Wissen, dass Fragilität zur Stärke werden kann. Ihre Stimmführung war von jeher sehr eigen, ihre Kenntnisse an der Gitarre angenehm bruchstückhaft. Dass die besten Songs von Leuten stammen, die alles nur ein bisschen können, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Virtuosität ist ein Feind des guten Pop. Was zählt, sind starke Melodien und eine gute Dramaturgie. Und darauf versteht sich Feist.

Im Solopart des Konzertes huschte sie mit heller Stimme durch Lieder wie „Gatekeeper“ und „The Bad In Each Other“, eine Studie darüber, wie es ist, wenn „a good man and a good woman“ nicht zueinander finden. Dann nämlich kommt das Übelste der beiden hervor. Immer wieder erläuterte sie Passagen, kommentierte das, was ein durchs Publikum vazierender Mann mit Handykamera auf die Leinwand projizierte. Auch das ist Teil ihrer Strategie, keine Routine aufkommen zu lassen: Der Fluss der stillen Lieder muss eben mit visuellen Reizen konterkariert werden, scharf an der Grenze zur Nervigkeit.

„The song‘s out of key“

Auf der großen Bühne war es dann tatsächlich so, wie sie es sich davor scherzhaft gewünscht hatte: „Klatscht mal so, als ob ihr auf einem Mötley-Crüe-Konzert wärt.“ Mit dem schräg groovenden „My Moon My Man“ steigerte sie die Stimmung im Saal weiter: „Such a lovable lamb to me“ gluckste sie über den Protagonisten, herzte ihn mit leicht sadistischen Anwandlungen. Dann streikte – im Lied – das Vehikel namens Lied: „The song’s out of key again“, hieß es. Oh, Ironie!

Ihre Hits ließ sie großteils aus. Kein „Mushaboom“, kein „Inside And Out“. Wenigstens ein radikal umarrangiertes „1,2,3,4“ gegen Ende. Und das wunderbar rumpelige „Sea Lion Woman“, das im Original bei Nina Simone „See Line Woman“ hieß. Mit den wild angelegten Call-and-Response-Passagen ein Highlight des Abends. Als erste Zugabe gab es noch „Of Womanhood“, eine Eloge an die Weiblichkeit mit der so einprägsamen wie schönen Zeile „Be of higher mind, be of womankind.“ Sogar die Lieder, die auf ihrem neuen Album „Multitudes“ schon recht unangenehm nach Mainstream klangen, wurden live mit wüster Geige und grellen Gitarrenklängen rehabilitiert. Mit Ringen oder ohne: Feist ist zurück.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.