Leitartikel

Die Zeit der französischen Alleingänge in Afrika ist vorbei

Emmanuel Macron und Ali Bongo, der gestürzte Präsident des Gabun, bei dessen letzten Elysée-Besuch in Paris.
Emmanuel Macron und Ali Bongo, der gestürzte Präsident des Gabun, bei dessen letzten Elysée-Besuch in Paris.AFP / Ludovic Marin
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Ratlos verfolgen die Europäer die „Epidemie der Putsche“ in Afrika. Frankreichs Einflusssphäre löst sich auf. Die EU braucht eine gemeinsame Strategie.

Von der Seitenlinie kann Europa einstweilen nur konsterniert beobachten, wie Staaten in der Sahelzone und in Westafrika wie die Dominosteine durch Militärcoups purzeln und aus der ohnedies rudimentären Einflusssphäre des Westens ­fallen. Wortreich konstatierten die EU-Außenminister bei ihrem jüngsten Treffen im spanischen Toledo die „Epidemie der Putsche“ – nirgends freilich mit solcher Ohnmacht und Ratlosigkeit wie die einstigen Kolonialherren in Paris.

Françafrique, die französischsprachigen Ex-Kolonien, schmilzt Frankreich unter der Sonne weg. Dass Sahelstaaten wie Mali und Burkina Faso mit Russland und seiner derzeit kopflosen Wagner-Gruppe einen politischen Flirt und einen wirtschaftlichen Deal eingegangen sind, muss die geopolitischen Strategen in Brüssel wie in Washington alarmieren. Unter der Ägide Frankreichs hat die EU viel an politischem Prestige und militärischer Macht investiert, um die Sahelstaaten vor dem islamischen Terrorismus zu schützen und vor dem Zerfall zu bewahren. Nun liefern sich die Generäle für einen kurzfristigen Vorteil den russischen Neoimperialisten aus, ohne dass sich die Sicherheitslage entscheidend verbessert hätte.

Im Kreislauf der Misere gefangen

Wie der Flirt endet, lässt sich leicht ausmalen: Nach der Plünderung werden die Söldner abziehen. Zurück lassen sie angeschlagene Militärregimes und eine um ihre Hoffnungen betrogene Bevölkerung, die um die Hilfe des Westens bettelt – oder auch Chinas. Oder Menschen, die – desillusioniert von den falschen Verheißungen – sich auf die Wanderschaft begeben. Die meisten zieht es immer noch in die Nachbarregion. Immer mehr jedoch werden die Strapazen auf sich nehmen, um sich ans Mittelmeer oder an den Atlantik durchzuschlagen, um ins vermeintliche Paradies Europa zu gelangen. Eine Bevölkerungsexplosion, die prognostizierte Verdoppelung der Population in Afrika, wird den Druck nur noch erhöhen.

Afrika, der viel gerühmte Zukunftskontinent, scheint wieder einmal in einem Kreislauf der Misere gefangen: politisch labil, ausgebeutet von Eliten, tendenziell auf dem Weg in den Rückfall zur Autokratie. Politisch zunehmend ein Kontinent der Düsternis, wirtschaftlich nach wie vor Erdteil mit schier unerschöpflichem Potenzial, geplagt indes von Dürren und mitunter auch hausgemachten Naturkatastrophen. Wo ist die Aufbruchstimmung der 1990er-Jahre geblieben? Wie steht es um Vorzeigedemokratien wie Uganda oder Südafrika?

Die einen haben sich unter dem Sog eines „starken Manns“ wie Ugandas Yoweri Museveni zu Despotien entwickelt, die Medien, Minderheiten und die Opposition unter der Knute halten. Familienclans wie die jetzt gestürzten Bongos in Gabun oder Militärführer beherrschen große Teile Afrikas. Im Vielvölkerstaat Äthiopien ist der als Signal an Afrika gekürte Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed an der Seite des plötzlichen Verbündeten Eritrea unversehens zum Kriegsherrn in einem Bürgerkrieg mit Tigray mutiert. Nigeria, die größte Demokratie des Kontinents, hat eine hoch umstrittene Wahl geschlagen. Und in der „Regenbogennation“ Südafrika zerfleddert das Erbe Nelson Mandelas.

Ein Afrika-Beauftragter der EU

Die Momentaufnahme ist ernüchternd, um nicht zu sagen deprimierend. Am Westen, an der EU und den USA, wird es liegen, eine Art Vorbildfunktion zu übernehmen. Das erfordert nicht zuletzt Geld und einen langen Atem. China und Russland werden nirgends ein demokratisches Exempel setzen. Sie scheren sich nicht um demokratische Werte und Menschenrechte, nur um ihre Interessen.

An Anläufen für eine europäische Afrika-Politik fehlte es nicht. Nur: Ein Wurf war bisher nicht darunter. Der Migrationspakt mit dem autokratischen Tunesien war der letzte Fehlschlag. Seither kommen mehr Migranten denn je aus dem Maghreb-Staat. Dass das Thema Migration unter den Nägeln brennt, haben die Europäer – allen voran die Italiener – längst eingesehen. Und dass eine umfassende Kooperation mit Afrika vonnöten ist. Mit der Umsetzung hapert es indes seit jeher. Höchste Zeit, dass die EU in einem ersten Schritt einen Afrika-Beauftragten ernennt. Eine Einigung über eine gemeinsame Strategie wäre der zweite. Die Zeit der Alleingänge ist vorbei. Diese Lektion sollten Frankreich und Macron gelernt haben.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

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