Cameron schickte einen Sir vor, um den „Guardian“ einzuschüchtern

Cameron schickte einen Sir vor, um den „Guardian“ einzuschüchtern
Cameron schickte einen Sir vor, um den „Guardian“ einzuschüchtern(c) REUTERS (ANDREW WINNING)
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Die Regierung in London setzt auf eine aggressive Verteidigungsstrategie in der Datenaffäre um den „Guardian“, während die USA auf Distanz gehen.

London. Der Skandal um die Zerstörung von Datenträgern mit Informationen des US-Aufdeckers Edward Snowden in Händen der britischen Tageszeitung „The Guardian“ zieht immer weitere Kreise. Nach Medienberichten von Mittwoch entsandte Premierminister David Cameron persönlich seinen höchsten Beamten, Sir Jeremy Heywood, um zuerst die Zeitung zur Rückgabe des Materials aufzufordern und danach die Zerstörung des Datenmaterials zu veranlassen. Regierungskreise bestätigten die Involvierung von Premier Cameron, des liberalen Vizepremiers Nick Clegg und von Außenminister William Hague.

Zugleich änderte die Londoner Regierung nach einer eintägigen Schrecksekunde die Taktik. Hatte man zuerst zu den Enthüllungen von „Guardian“-Chefredakteur Alan Rusbridger geschwiegen, ging die Regierung gestern aggressiv in die Offensive: Aufgrund der Sorge, dass das Material im Besitz der Zeitung „in die falschen Hände“ geraten könnte, wäre ein Nichteingreifen „einer völligen Vernachlässigung unserer Pflichten gleichgekommen“, hieß es aus dem Londoner Regierungsbezirk Whitehall. Auch die Festhaltung von David Miranda, Lebenspartner des Enthüllungsjournalisten Glenn Greenwald, wurde robust als „Anti-Terror-Schutzmaßnahme“ verteidigt.

Vorwurf der Zensur

Zugleich wies die Regierung Vorwürfe der Medienzensur scharf zurück: „Es wurde eine Verständigung darüber erzielt, dass die Zerstörung des Materials nicht die Fähigkeit des ,Guardian‘ zur Veröffentlichung von Artikeln zu dem Thema beeinflussen würde, während die notwendigen Schritte zur Aufrechterhaltung der Sicherheit gesetzt wurden.“ Dieser Weg sei gegenüber der Einschaltung des Rechtswegs bevorzugt worden.

„Guardian“-Chefredakteur Rusbridger bezeichnete die Zerstörung der Datenträger als „besonders sinnloses Beispiel von Symbolismus“, da die Zeitung längst alle Informationen kopiert hatte und die britischen Behörden informierte, dass man die Berichterstattung vom Stützpunkt New York fortsetzen werde. Tatsächlich brachte der „Guardian“ kurz nach der Zerstörung der Datenträger am 20. Juli neue Enthüllungen über die britische Abhörbehörde GCHQ und den US-Geheimdienst NSA.

Rusbridger erklärte gestern auch, warum er der Zerstörung zugestimmt hatte: Er wollte das Material nicht übergeben, weil „das einem Verrat an unserer Quelle gleichgekommen“ wäre. Zugleich hätten Juristen aber eine einstweilige Verfügung gefürchtet, die der Zeitung jede weitere Berichterstattung untersagt hätte. Nach den britischen „libel laws“ kann ein Kläger bis zur – üblicherweise Jahre dauernden – Klärung eines Rechtsstreits die Verbreitung jeglicher Information (einschließlich der Existenz einer entsprechenden einstweiligen Verfügung) bei Gericht erwirken.

Der konservative Ex-Außenminister Malcolm Rifkind, von Beruf Rechtsanwalt, sagte dazu: „Rusbridger bestreitet nicht, dass er kein Recht hatte, das Material in seiner Hand zu besitzen. Er konnte es der Regierung zurückgeben oder zerstören. Er wählte Letzteres.“

Klar ist aber auch, dass die Regierung seit Beginn der Snowden-Enthüllungen knallhart auf Einschüchterung setzt. Bereits am 7. Juni erhielten alle britischen Medien eine offizielle Warnung (D-Notice) zur Zurückhaltung bei der Veröffentlichung von „sensiblen Informationen“. Mitte Juni folgte dann der erste Besuch von Sir Jeremy Heywood. Die USA gingen erstmals auf Distanz: „Ein Szenario, in dem ein derartiges Vorgehen angemessen erscheint, ist schwer vorstellbar“, erklärte ein Regierungssprecher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2013)

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