Konzertkritik

Mit Helene Fischer im gespielten Liebesrausch in Wien

Alles muss bei Helene Fischer von „Null auf Hundert gehen“
Alles muss bei Helene Fischer von „Null auf Hundert gehen“APA/EVA MANHART
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Die robotermäßig intonierende Schlagersängerin Helene Fischer mischte ihr Publikum am ersten von fünf Abenden in der jeweils ausverkauften Wiener Stadthalle mit einem Overkill der Reize auf.

Soweit man weiß, ist ihr Herz von einer Teflonschicht umhüllt. Da mag Helene Fischer bei ihrem verbalen Wünschen und Sehnen noch so dick auftragen, irgendwie nimmt man ihr die gespielte Dringlichkeit nicht ab. „Rausch“ nennt sich ihr aktuelles Werk, auf dem sie einmal mehr die Liebe als Wundermittel gegen jegliche Diskontinuität des Lebens in Anschlag bringt. Doch das Harmonisieren, das seit jeher die gesellschaftspolitische Strategie des Schlagers war, ist gleichfalls durcheinander. „Wie oft haben wir gelacht und geweint, Wien!“, rief sie in der Eröffnungsnummer „Null auf 100“ am Dienstagabend in der Stadthalle beim ersten ihrer insgesamt fünf ausverkauften Konzerte. Überhaupt: Die Freundlichkeiten, die die nun 39-jährige Wolgadeutsche so ins Mikro wisperte, hatten jene kühle Professionalität, die Trinkgeldabhängige in der Gastronomie so walten lassen, wenn der Gast zum Zahlvorgang bittet. Dabei hatten die Anwesenden längst berappt, zum Teil so viel, dass der Werbespot der „Deutschen Vermögensberatung“ wohl am Ende ins Leere zielte.

Bezüglich Kosten hat Fischer keinen Aufwand gescheut und dieses Mal mit dem Cirque du Soleil kooperiert, jenem kanadischen Zirkus, zu dessen Erfolgsstrategie zählt, aus Künstlern anonyme Gehaltsempfänger zu machen. Austauschbare Aufziehpuppen, die sich selbst für seelenlosen Schlager verrenken müssen. Sechzehn davon war schon im Opener in der unheiligen Mission tätig, wenigstens die Schaulust der gehörmäßig unterforderten Besucher anzustacheln.

Technobeats und seelenlose Gesangsoutrage

Der Schlager, dieses urtypisch deutsche Heile-Welt-Genre hat in den letzten zwei Jahrzehnten eine Form von Veränderung durchgemacht, die nicht nur talentierte Apokalyptiker zu lauten Wehklagen animiert. Kulturpessimismus ist angebracht, wenn man an die Ikonen der Siebzigerjahre zurückdenkt. Daliah Lavi, Vicky Leandros, Juliane Werding, das waren noch individuelle Ästhetiken, lange vor Marktoptimierungsüberlegungen. Tatsächlich klingt der Neue Deutsche Schlager, zu dem Fischer zu zählen ist, wie ein Ragout aus schlecht verdauten Technobeats und seelenloser Gesangsoutrage. Der romantische Muskel ist gerissen. Interessierte sich einst etwa ein Christian Anders dafür, was passiert, wenn das Liebes-Happy-End ausleiert oder überhaupt erst gar nicht passiert, singt sich eine Helene Fischer mittels wenig variabler Stimme in permanente Fake-Ekstase.

Helene Fischer beim ersten ihrer fünf Konzerte in der Wiener Stadthalle
Helene Fischer beim ersten ihrer fünf Konzerte in der Wiener StadthalleAPA/EVA MANHART

Alles muss von „Null auf Hundert gehen“, deshalb gilt es ihr, Stimmung möglichst auf Knopfdruck zu erzeugen. Was an diesem Abend in der wegen der technischen Apparaturen nur mit 10.000 Besuchern bestückten Halle, gar nicht so leicht war. Immer brachte sie ihre favorisierte Anrede „Ihr Lieben“ in Anschlag, sprach zuweilen davon, dass wir alle mit Respekt miteinander umgehen sollen und attackierte dann sofort wieder mit ihren unrealistischen Verzückungen.

Nie ließ sie ein Schiff der großen Illusionen vom Stapel, stets musste alles im Orkus der völligen Entrücktheit landen. „Ich will immer wieder dieses Fieber spüren.“ forderte sie. „Ein magischer Kuss und wie es sich anfühlt, wenn du mich so hemmungslos ansiehst, ganz tief“, versuchte sie ihr imaginäres Gegenüber in „Rausch“ zum Aufdecken der Karten zu zwingen. Das Begehren zu provozieren, zählt nicht allein in diesem Lied zum Ziel der Protagonistin. „Bitte hör nie auf, nur du auf meiner Haut, wie im Rausch!“ säuselte sie zu moderatem Technogeraschel. Die Texte ihrer Songs, für die wenigsten davon ist sie selbst verantwortlich, sind so hitzig, dass sie mittels kalten Beats relativiert werden, um sie halbwegs genießbar zu machen. Gleichzeitig lenkte die circensische Show von Musik und Text ab. Das forcierte den Eindruck, dass hier größtenteils lebloses Liedgut zum Besten gegeben wurde. „Ihr Lieben, ihr wollte erfahren …“ meinte Fischer einmal zum Publikum. Aber was, ist hier die Frage? Dass das Gefühlssurrogat wirklicher ist als jede echte Emotion?

Die circensische Show lenkte von Musik und Text ab
Die circensische Show lenkte von Musik und Text abAPA/EVA MANHART

Helene Fischer als Verlängerung eines Roboterarms

Dass sie sich bei ihrem Megahit „Atemlos“ als lebende, hin- und hergebeutelte Verlängerung eines Roboterarms inszenierte, das war einer der wenigen authentischen Momente des Abends. Und dann noch das liebe Bierzeltschlagermedley zu Beginn des zweiten Teils, als Ziehharmonika und Akustikgitarren in ihr Recht gesetzt wurden. Highlight des Abends war dennoch „Vamos A Marte“, wo das Technoide überraschend schnittige Gestalt annahm. Fazit: Leichte Musik ist zuweilen echt schwere Kost.

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