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Institut für jüdische Geschichte Österreichs: „Es gibt ein großes Bedürfnis nach Gedenkkultur“

Martha Keil, wissenschaftliche Leiterin Injoest
Martha Keil, wissenschaftliche Leiterin InjoestArman Kalteis
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Seit 35 Jahren erforschen Wissenschafterinnen und Wissenschafter in einem eigenen Institut in St. Pölten die jüdische Geschichte Österreichs. Dessen Leiterin mahnt zu einem sensiblen Umgang mit dem Vergangenen – und gegenwärtigen gesellschaftlichen Strömungen.

Das Institut ist ein Kind des „Bedenkjahres“ 1988. Die Idee damals: 50 Jahre nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich eine wissenschaftliche Einrichtung zu gründen, die sich der jüdischen Geschichte Österreichs widmet. Heute arbeiten bis zu neun Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an verschiedenen Projekten, um Vergangenheit, Herkunft und Spuren jüdischen Lebens auszuleuchten.

Nicht nur, was die Themen angeht, die beforscht werden, ist man breit aufgestellt. Auch das geografische Territorium ändert sich je nach Projekt und „umfasst jedenfalls mehr als nur das heutige Österreich“, wie PD Dr. Martha Keil betont. Die Historikerin ist seit 2004 Direktorin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs (Injoest). So widmet man sich seit der Gründung dem Judentum während des Mittelalters im damals bis ins heutige Slowenien reichende Österreich, auch Galizien beziehungsweise jüdische Kleidung in Mitteleuropa standen schon einmal im Fokus. Insgesamt umfasst die Arbeit des Instituts neben Forschungs-, Publikations- und Vortragstätigkeiten auch universitäre Lehre sowie Schulprojekte.

»„Wir wollen Teile der Geschichte sichtbar und zugänglich machen, die bisher blinde Flecken und unerforscht waren“«

Martha Keil

Aktuell widmet man sich beispielsweise in einem noch bis Ende 2024 laufenden Forschungsprojekt den NS-Lagern in Niederösterreich. Allein im niederösterreichischen Zentralraum gab es zur Zeit des Nationalsozialismus mindestens 60 Lager, in denen Ausgegrenzte sowie Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus ganz Europa untergebracht waren. „Die Forschungsarbeit läuft mit viel Engagement und begleitet von großem Interesse der Bevölkerung, die wissen will, was hier wirklich geschehen ist“, freut sich Keil. Auch im Zuge des „Mermorbuch“-Projekts, das sich als virtuelles Erinnerungsbuch der im Nationalsozialismus vernichteten jüdischen Gemeinde von St. Pölten widmet, und bei den „Steinen der Erinnerung“, die in Form von Messingplatten vor der letzten freiwilligen Wohnadresse von später deportierten Jüdinnen und Juden mit eingraviertem Namen, Geburtsjahr und – wo eruierbar – Todesdatum, in den Gehsteig eingelassen werden, ortet Keil ein „großes Bedürfnis nach Gedenkkultur“.

„Wir wollen aufklärend informieren“, versteht sie die Arbeit des Instituts auch als Gegenpol zur oft vorurteilsbehafteten öffentlichen Debatte rund um Geschichte im Allgemeinen und das Schicksal der jüdischen Gemeinde im Besonderen. Entsprechend sensibel reagiert man auch auf tagesaktuelle Entwicklungen und beobachte sie „mit großer Aufmerksamkeit“ (Keil). „Die Geschichte wird sich aufgrund veränderter Rahmenbedingungen nicht wiederholen“, sagt sie: „Aber man kann Zusammenhänge und Parameter aufzeigen und sieht Weichenstellungen, die bei politisch wachen Leuten die Alarmglocken läuten lassen.“ Da brauche es einen „wachsamen Umgang mit Narrativen und Interpretationen historischer Quellen“, mahnt Keil. Diesem Weitergeben dessen, was Geschichte lehrt, widmet sich das Institut mit großem Bemühen und der Unterstützung von Bund und dem Land Niederösterreich seit der Gründung vor 35 Jahren. 

Organisatorisch ist man seit 2011 an das Institut für österreichische Geschichtsforschung der Universität Wien angebunden, der Injoest-Standort ist aber weiterhin St. Pölten geblieben – und dort an einem geschichts- wie symbolträchtigen Ort: die Ehemalige Synagoge. Die Gedenkstätte war Anfang der 1980er-Jahre aufwendig renoviert worden und bietet einen idealen Rahmen für die Forschungsarbeit. Im kommenden Jahr wird das einstige Gebetshaus nach neuerlicher Renovierung auch ein Leuchtturmprojekt des Kulturjahres sein.

Mehr Informationen zum Injoest finden Sie hier

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