FH: „Um manche Standorte wäre es nicht schade“

Reinhold Popp
Reinhold Popp(c) Clemens Fabry
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Reinhold Popp, Leiter des Salzburger Zentrums für Zukunftsstudien, kritisiert das Diktat der „flotten Marketingsprüche“ an den heimischen Fachhochschulen. Vielfach fehle die wissenschaftsgeleitete Lehre.

Die Presse: Die Fachhochschulen als „Erfolgsstory“ zu bezeichnen sei eine „überemotionale Selbstvermarktungssemantik“, die bloß den Blick auf die wahren Probleme des Sektors verstelle, heißt es in Ihrem neuen Sammelband zur Zukunft der FH. Das klingt beinahe ketzerisch.

Reinhold Popp: Sicher ist die Entwicklung des FH-Sektors auch von Erfolgen geprägt – aber eben nicht nur. Und diesen zweiten Teil verbergen die Marketingabteilungen der FH eben sehr gut.

Beginnen wir positiv: Worin liegen Ihrer Ansicht nach die Erfolge?

Einen Sektor in knapp 20 Jahren so aufzubauen, dass er bereits zehn Prozent aller Studierenden stellt, kann sicher als Erfolg gelten. Rein quantitativ sind die FH also sicher eine Erfolgsstory.

Das impliziert, dass es an der Qualität noch mangelt.

Die Fachhochschulen erheben den Anspruch, echte Hochschulen zu sein. Und da muss man ehrlich sagen: Bis zu einer echten, universitätsnahen Ausbildung haben die meisten FH sicher noch ein Stück des Weges zu gehen.

Woran krankt es konkret?

Ein Problem ist die Minderbewertung des Akademischen an den FH. Es gab – als Gegenbewegung zu Fehlentwicklungen an den Unis – eine große Sehnsucht nach Praxis, die zur Gründung der FH geführt hat. Das ist an sich gut. Dass viele FH glauben, dass die wissenschaftliche Fundierung dessen, was sie tun, eine Nebensache ist, ist aber problematisch. Zu behaupten, dass an FH wissenschaftsgeleitete Lehre passiert, wäre falsch. Die Lehrverpflichtung eines FH-Lehrenden liegt bei 16 bis 17 Semesterwochenstunden – das entspricht übrigens der Stundenanzahl eines AHS-Lehrers –, und wer da behauptet, dass nebenbei Forschung und Pflege der Wissenschaft möglich sei, der lügt.

Das klingt, als entspräche der Job eines FH-Lehrenden insgesamt eher jenem eines AHS-Lehrers als jenem eines Uni-Professors.

Ja, so sehe ich das. Viele FH-Kollegen sind sehr motiviert, große Einblicke in den wissenschaftlichen Diskurs haben sie aber nicht. Wie sollen sie auch, bei dieser Lehrverpflichtung?

Wirkt sich dieser Mangel an Wissenschaftlichkeit negativ auf die Berufschancen der FH-Absolventen aus?

Das ist das nächste Problem: Wir wissen es nicht. In den vergangenen 20 Jahren hat sich nie jemand an eine ehrliche Detailauswertung der Akzeptanz der FH-Absolventen auf dem Arbeitsmarkt gemacht. Außer ein paar flotten Marketingsprüchen ist da nicht viel. Die Hochschulforschung ist in Österreich unterentwickelt. Viele Hochschullehrer sind der Meinung: „Über mich braucht niemand zu forschen. Der Forscher bin ich selbst.“ Aber sich selbst erforscht man – das ist ein ziemlich banaler Schluss – halt leider eher schlecht.

Warum gelingt an den FH die Selbstvermarktung besser als an den Unis?

Die FH wurden wie Unternehmen gegründet. Während Uni-Professoren auf ihre Scientific Community schauen, beherrschen die FH-Geschäftsführer die Medienlogik. Hätten die Unis derart groß ausgebaute PR-Abteilungen wie die FH, gäbe es wohl längst Kritik des Rechnungshofs und des Wissenschaftsministeriums.

Die größere Distanz zum Ministerium gereicht den FH also zum Vorteil.

In diesem Zusammenhang schon. Sie lässt die FH aber auch aus dem kontrollierenden Blick des Ministeriums entschwinden.

Manfred Prisching, ehemaliger wissenschaftlicher Leiter der FH Joanneum und Autor in Ihrem Buch, nennt den Sektor „naturwüchsig“. Fürchten Sie einen Wildwuchs bei den FH-Studien?

Ja. Das ist das Ergebnis eines falsch verstandenen Wettbewerbs, in dem sich die FH untereinander und zu den Unis sehen. Es entstanden Studienrichtungen mit den abenteuerlichsten Namen, nur um sich von anderen abzuheben. Ein weiteres Problem: Die Disziplinen wurden an den FH vor allem am Anfang eigenartig verengt. Es gibt etwa Studiengänge, in denen man sich drei Jahre lang nur mit Marketing beschäftigt. Die FH werden auch in diesen Wettbewerb gedrängt, weil der Staat ganz ähnliche Studienrichtungen sowohl an Unis als auch an FH parallel finanziert.

Eine Umfrage in Ihrem Buch kommt zum Ergebnis, dass sich manche FH-Akteure wünschen, dass praxisbezogene Studien – etwa Jus – stärker
von den Unis zu den FH wandern.

Wir könnten das Hochschulsystem splitten und alle Grundlagenforschung an den Unis ansiedeln und alles Praxisrelevante an den FH. Das wird aber, realpolitisch betrachtet, nie passieren. Oder können Sie sich einen Wissenschaftsminister vorstellen, der sich das zu sagen traut und am nächsten Tag unbeschadet ins Büro kommt?

Haben die FH überhaupt die Chance, die besten Studenten zu bekommen?

Nein. Es ist für mich erschütternd, wie man überhaupt auf die Idee kommen kann, mit einem Marktanteil von zehn Prozent gegen die Unis konkurrenzfähig zu sein.

Wo soll es hingehen im FH-Sektor?

Ich plädiere für stärkere Kooperationen zwischen FH und Unis. Und dann müssen wir uns fragen, wie viele FH-Standorte wir noch brauchen. Derzeit gibt es Standorte, an denen es einen Studiengangsleiter und sonst nur Lehrpersonal gibt. Das kann es nicht sein. Man kann nicht, nur weil ein Landeshauptmann eine besondere Affinität zu einem Bürgermeister hat, irgendwo eine FH mit 200 Studienplätzen auf die grüne Wiese stellen. Das hat mit Hochschule nichts zu tun. Um solche Standorte wäre es nicht schade. Dafür könnte man andere groß ausbauen.

Ist sich die FH-Konferenz der Probleme, die Sie ansprechen, bewusst?

Nein. Meines Wissens nach nicht. Dort geben die FH-Geschäftsführer mit ihrer kaufmännischen Sicht den Ton an, und nicht die Wissenschaftler.

Zur Person

Reinhold Popp (*1949) leitet seit 2005 das Zentrum für Zukunftsstudien an der Fachhochschule Salzburg. Popp studierte Lehramt, Psychotherapie und Klinische Psychologie und dissertierte in den Fächern Politik- und Bildungswissenschaft. Er lehrt an mehreren Hochschulen im In- und Ausland und ist Gründungsmitglied des Masterstudiengangs
für Zukunftsforschung an der FU Berlin. An der FH Salzburg geht Popp in wenigen Monaten in Pension.

In seinem neuen Buch, herausgegeben mit Elmar Schüll, setzen sich Kenner der Hochschulszene – darunter Manfred Prisching, Peer Pasternack, Werner Hauser und Regina Aichinger – mit den Chancen und Problemen des FH-Sektors auseinander und wollen Reformerfordernisse aufzeigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2013)

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