Bosnien: Heikle Volkszählung

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Intellektuelle kritisieren, dass beim ersten Zensus seit 1991 die Nationalität abgefragt wird.

Sarajewo. Seit Ende des Krieges 1995 in Bosnien und Herzegowina rätselt man, wie viele Einwohner in dem Land eigentlich geblieben sind. Nach der Vertreibung von zwei Millionen Menschen, von denen nur ein Teil zurückgekehrt ist, will man nun Klarheit gewinnen. Bis 15. Oktober werden tausende Helfer von Tür zu Tür gehen, um eine Volkszählung durchzuführen.

Das auszufüllende Formular soll nicht nur Aufschluss über die Anzahl der Menschen geben, sondern auch über Besitzstand, Familienverhältnisse, Herkunft und Altersstruktur. Scharfe Kritik wurde laut, als im Vorfeld bekannt wurde, dass jeder auch seine Religion und die Zugehörigkeit zu einer der Volksgruppen angeben muss. Das war die Bedingung vor allem der serbischen und kroatischen Nationalisten.

Vor allem Menschen aus gemischten Ehen, und das sind viele, kritisierten diese Kategorien. „Was ist mein Sohn, ich bin Bosniakin, mein Mann ist Serbe, was ist er also?“, fragte eine Mutter bei einer Radiodiskussion. Der Politikwissenschaftler und Philosoph Sulejman Bosto aus Sarajewo erklärte, er sei „komplex“ und nicht in diese einfachen Kategorien zu pressen.

Die Formulare wurden wegen der Kritik zwar leicht geändert: Immerhin können die Bürger sich nun auch als „andere“ eintragen und ihre nationale Zugehörigkeit in einem freien Feld frei definieren – so wollen einige sich als Bosnier definieren, aber auch „Eskimo“ oder andere erfundene Zugehörigkeiten angeben.

Angst vor Nachteilen

Doch die meisten werden sich wohl dem Verdikt der Nationalisten beugen. Denn die Weigerung mitzumachen könnte zu Nachteilen bei der Jobsuche führen. Nach wie vor bestimmen die ethnisch definierten politischen Parteien den Arbeitsmarkt.

Bei der letzten Volkszählung 1991 gaben 44 Prozent an, Bosniaken (Muslime), 33 Prozent Serben und 17 Prozent Kroaten zu sein. Der Rest definierte sich als „Jugoslawen“ oder als nationale Minderheiten wie die der Roma, Juden, Deutsche, Ukrainer und als „andere“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2013)

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