Alles Spaß auf Erden?

Verdi, der Erneuerer, Verdi als Komponist, Verdi kompakt, Verdi psychoanalytisch, Verdi im Zitat, Verdi, ein Bekenntnis. Das Verdi-Jahr hat eine Menge Literatur hervorgebracht, nicht immer als Fortentwicklung der schon länger vorliegenden. Ein Überblick zum 200. Geburtstag.

Gedenkjahre sind Initialzündungen für neue Publikationen. Das Verdi-Jahr ist da keine Ausnahme. Wobei Neuerscheinungen nicht immer die empfehlenswertesten Bücher zum jeweiligen Jahresthema sein müssen. Vor 14 Jahren hat der Musikwissenschaftler John Rosselli, ehemals Geschichtswissenschaftler an der Universität Sussex und Chefredakteur des „Manchester Guardian“, seine Verdi-Biografie veröffentlicht, die jetzt auf Deutsch herausgekommen ist. Bereits Mitte der 1980er-Jahre ist seine Abhandlung „The Opera Industry in Italy from Cimarosa to Verdi“ erschienen, woraus man sein weit gespanntes Interesse für dieses Thema erkennen kann.

Das setzt sich in seiner Verdi-Biografie fort. In sechs Kapiteln beschreibt er, streng chronologisch und eingebettet in die historischen Ereignisse, Verdis Vita sowie ebenso sachlich und nicht minder spannend die Entstehungsgeschichte und Rezeption seiner Werke. Er kommt auf deren Charakteristika fundiert zu sprechen. Verdi erscheint hier alles andere als verklärt, Legenden werden auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Selten wurde Verdis Persönlichkeit und innovatorische Größe so deutlich herausgearbeitet.

Aktualisiert, mit Zeittafel und Hinweisen auf die neuere deutsche Verdi-Literatur versehen, wurde die glänzende Biografie von einer anderen Kennerin: der an der Philipps-Universität Marburg lehrenden Musikwissenschaftlerin Sabine Henze-Döhring. Auch in ihrem seriösen Buch geht es um einen musikalischen Werkführer der Opern Verdis. In sieben Kapiteln, ergänzt durch Werkverzeichnis, Bibliografisches, ein Personenregister sowie ein Fachausdrücke erklärendes Glossar, setzt sie sich beginnend mit „Nabucco“, „Ernani“ und „Macbeth“ detailliert mit Verdis Opern auseinander. Sie erklärt deren Struktur, weist ebenso sachkundig auf zahlreiche, nicht immer so beachtete musikalische Details hin. Eingeleitet wird dieser Opernführer für Fortgeschrittene mit einem Essay über den Mythos Verdi vor dem Hintergrund von Italiens Geschichte und dem Versuch einer Einordnung von Verdis Opernwerk in die Entwicklung der italienischen Oper.

Für einen breiteren Leserkreis angelegt ist Joachim Campes Verdi-Biografie. Als Verlagslektor, Literaturkritiker und Lehrbeauftragter an der Universität Göttingen weiß er, wie man ein Publikum fesseln kann. Die zahlreichen Anmerkungen am Buchende dokumentieren, wie intensiv er sich mit Verdi beschäftigt hat. Neues erfährt man in dieser Biografie, deren Einband eine Abbildung des bekannten Verdi-Porträts von Giovanni Boldini ziert, freilich nicht.

Oper als Spiegel des Lebens

Campes Verdi ersetzt auch nicht Standardwerke, wie etwa Julian Buddens maßstäbliche Verdi-Biografie, die er für die Einschätzung von Verdis Werk zuweilen zurate zieht. Aber den Anspruch einer musikwissenschaftlichen Auseinandersetzung stellt er auch nicht, ihm geht es um eine gut lesbare Zusammenfassung bisheriger Erkenntnisse, wobei er dem Historischen mehr Platz einräumt als Verdis musikalischen Leistungen.

Über Verdi kann man auch schreiben, ohne sich näher zu seiner Musik zu äußern, wie der Wiener Kardiologie und Psychotherapeut Georg Titscher in „Viva Verdi. Ein biografischer Opernführer“. Ein Widerspruch? Keineswegs, wenn man die Aufgabe so angeht wie er, wofür der Begründer der Psychokardiologie in Österreich ein Vorbild hat: den als Analytiker der „österreichischen Seele“ bekannt gewordenen Erwin Ringel, mit dem er bei dessen Publikation „Unbewusst – höchste Lust. Oper als Spiegel des Lebens“ bereits zusammengearbeitet hatte.

Eine Sisyphusarbeit, der sich Titscher hier gestellt hat. Schließlich untersucht er sämtliche Verdi-Opern im Hinblick auf die spezifische Physiognomie und die Beziehungen der einzelnen Protagonisten Verdis. Klar, dass er sich mit grundsätzlichen Konstellationen wie Liebe, Eifersucht, Macht oder Ohnmacht nicht zufriedengibt, sondern stets akribisch hinter die Kulissen der individuellen Seelenlandschaften blickt. Immer wieder kommt er auf den in Verdis Opern hervorstechenden Vater-Sohn-Konflikt zu sprechen, weist auf die autobiografischen Züge des Simon Boccanegra hin oder erklärt die besondere Stellung von „Falstaff“ damit, dass es Verdis einzige Oper ist, in der Mutter und Tochter eine handlungstragende Rolle spielen und die ganze Familie vorkommt.

Wissen Sie, ob folgendes Zitat von Verdi stammt? „Wenn sie auch schlecht singen, das macht nichts!“ Christoph Wagner-Trenkwitz, langjähriger Chefdramaturg der Wiener Staatsoper und der Volksoper Wien, ist sich auch nicht sicher, aber mutig genug, es nicht nur definitiv dem Komponisten zuzuschreiben, sondern auch gleich zum Titel für sein Verdi-Buch zu wählen. „Versuche über Verdi“ hat er als Untertitel gewählt und damit, gespickt mit seinen bisherigen Erfahrungen mit Verdi, ein sehr persönliches Bekenntnisbuch zu diesem Komponisten vorgelegt. Womit er nicht nur an den einen oder anderen seiner früheren Einführungstexte erinnert und Episoden aus dem Opernalltag gewohnt pointiert zum Besten gibt, sondern auch Verdi selbst in ausgewählten Zitaten beziehungsvoll zu Wort kommen lässt.

Ist bei Verdi, wie es nach Wagner-Trenkwitz' flott formulierter Lektüre in Anspielung an die „Falstaff“-Schlussfuge beinahe den Anschein hat, tatsächlich alles Spaß auf Erden? Keineswegs, wie man in Riccardo Mutis„Mein Verdi“ nachlesen kann. Entstanden aus mehreren Gesprächen mit einem italienischen Journalisten und wenig elegant ins Deutsche übertragen, liefert der führende Verdi-Interpret der Gegenwart in diesem Buch ein flammendes Bekenntnis zum „Komponisten meines Lebens“.

Er hebt die sonst nur bei Mozart erkennbare ideale Übereinstimmung von Wort und Musik in Verdis Opern hervor, plädiert, wie er es seit Jahrzehnten in seinen Aufführungen demonstriert, für kompromisslose Texttreue, erinnert sich an Begegnungen mit großen Verdi-Interpreten, weist in zahlreichen Detailbetrachtungen nach, wie sehr Verdis Operngestalten autobiografisch gefärbt und aus dem Alltagsleben genommen sind. Im Übrigen macht Muti unmissverständlich klar, dass Verdi zwar Wagners Werk kannte, dennoch stets seinen eigenen Weg ging. ■

Verdi: Die Neuerscheinungen

John Rosselli: Giuseppe Verdi. Genie der Oper. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. 286S., geb., €22,60 (C. H. Beck Verlag, München).
Sabine Henze-Döhring: Verdis Opern.
Ein musikalischer Werkführer. 128S., brosch., €9,20
(C. H. Beck Verlag, München).
Joachim Campe: Verdi.
Eine Biografie. 256S., geb., €30,80 (Primus Verlag, Darmstadt).
Georg Titscher: Viva Verdi.
Ein biografischer Opernführer. 352S., geb., €24,95 (Amalthea
Verlag, Wien).
Christoph Wagner-Trenkwitz: Wenn sie auch schlecht singen, das macht nichts!
Versuche über Verdi. 228S., geb., €21,90 (Residenz Verlag, St. Pölten).
Ricardo Muti: Mein Verdi.
Aus dem Italienischen von Michael Horst. 176S., geb., €20,50 (Henschel Verlag, Leipzig).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2013)

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