Wie man seine Rituale (er)findet

Heike Huber-Kraxner ging der Frage nach, wie sich Menschen bei der Ausbildung von Ritualen, die dem Leben Struktur, Halt und Sinn geben, beraten lassen.

Rituale geben Menschen Struktur, Halt, Trost, oft Sinn. In Zeiten sich verändernder Spiritualität hat sich auch die Ritualgestaltung gewandelt – v.a. individualisiert. Heike Huber-Kraxner ortet gar einen „Markt der Rituale“: ein breites Angebot, nicht selten angereichert mit Versatzstücken exotischer Kulturen wie Räuchern, Schwitzhütte, Tanz und Gesang, aus dem nach Bedarf etwas Neues, Eigenes maßgeschneidert wird.

Und weil das nicht alle gleich gut können, bietet seit den 1990er-Jahren eine neue Dienstleistung „Ritualberatung“ an. Dazu zählen neben dem Ratgeberliteratur-Tsunami die Workshop- und Seminar-Szene sowie – immer wichtiger – Einzelberatungen. Die Beraterinnen und Berater, früher oft selbst „Suchende“, wollen dabei nicht Autoritäten sein, sondern Helfende bei der Entwicklung eigener Ideen und Kompetenzen. Die Kulturwissenschaftlerin Huber-Kraxner suchte u.a. nach gesellschaftlichen Bedürfnissen und Leerstellen, die hier bedient werden (Uni Graz, Betreuer: Helmut Eberhart).

„Rituale gehören oft zur Suche nach persönlicher Spiritualität und Sinn im Leben.“ Oder nach einem bewussteren ganzheitlichen Lebensstil – Gesellschaftskritik inklusive. Ein weiterer Ritualbereich ist der Wellness-, der Wohlfühl-Sektor. Verantwortung für das eigene Wohlbefinden zu übernehmen, dient hier der „Optimierung des Humankapitals“.

Besonders wichtig sind Rituale für biografische Übergänge wie Taufe, Hochzeit, Tod. Hier wolle kaum jemand darauf verzichten – was eine spirituelle Sehnsucht zeige: den Wunsch, dem Leben Sinn und Bedeutung zu geben. Kirchen, so fand Huber-Kraxner, nehmen hier selbst bei nicht religiösen Menschen noch immer eine Sonderstellung unter den Ritualanbietern ein. Individuellere Beratung ist oft in Situationen gefragt, für die es noch keine speziellen Angebote gibt: Das kann alles vom Schulbeginn bis zur Übersiedlung in ein Seniorenheim sein.

Trotz aller Betonung von Individualität fand Huber-Kraxner einige klare Tendenzen: häufig einen starken Naturbezug und die Verwendung religiöser Symbole. Wobei christliche Symbole nicht zuletzt eingesetzt werden, „um Gäste nicht zu verschrecken“. Sprich: Tradition wird zu einer möglichen austauschbaren Spielart neben anderen. Und: Die starke Individualisierung der „neuen“ Rituale entspricht ganz unserer Eventkultur: das perfekt durchkomponierte Ritual als Möglichkeit der Selbstinszenierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.