Ewig ein Opfer: Das Pech der lebenden Toten

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Symbolbild(c) REUTERS (KAI PFAFFENBACH)
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Nach jahrzehntelanger Nischenexistenz erlebt das Zombie-Genre seinen zweiten (Krisenzeiten)-Boom, vom Blockbuster "World War Z" zur Serie "The Walking Dead". Eine kleine Zombie-Kulturgeschichte.

Auf die Frage, wer seine Geschöpfe seien, antwortet der Voodoo-Meister mit dem unvergesslichen Namen Murder Legendre nur lächelnd: „To you, my friend, they are the angels of death.“

So betraten die Zombies die Kinogeschichte: in „White Zombie“ (1932), einer unabhängigen Billigproduktion der Brüder Viktor und Edward Halperin, abgedreht in elf Tagen und von der zeitgenössischen Kritik hauptsächlich belächelt – insbesondere wegen hölzerner Darsteller. Die Ausnahme war der ungarische Star-Import Bela Lugosi, eben als „Dracula“ berühmt geworden: In ihm hatten die Halperins einen zugkräftigen Namen und eine Idealbesetzung für den theatralisch deklamierenden und mit weit aufgerissenen Augen hypnotisierenden Murder Legendre. Nach zögerlichem Start entwickelte sich der Film doch zu einem soliden Kassenerfolg – und die Halperins drehten die Fortsetzung „Revolt of the Zombies“ (1936), diesmal zwar ohne Lugosi, doch mit Wiederverwendung der Großaufnahmen seiner Augen für die Szenen, in denen Menschen zu Zombies verwandelt werden.


Voodoozauber. Längst ist „White Zombie“ wegen seiner unheimlichen Albtraum-Atmosphäre und perversen Untertöne ein Horrorkultfilm geworden, doch vor allem sollten seine untoten Geschöpfe eine – zunächst gar nicht so blutige – Spur durch die Kinogeschichte ziehen. Dieser erste Zombie-Spielfilm hängte sich an den Erfolg des 1929 erschienen Buchs „The Magic Island“ an: Autor William Seabrook, ein Abenteurer mit Hang zum Okkulten, der sich u.a. mit Hexenmeister Alistair Crowley, Kannibalismus und satanistischen Praktiken in der Dritten Welt beschäftigte, hatte sich bei einem Haiti-Aufenthalt für den Voodookult zu interessieren begonnen. Mit „The Magic Island“ wurde das Konzept vom Zombie – und auch das Wort selbst – erst popularisiert. Durch Voodoozauber wiedererweckte Tote waren für findige Filmproduzenten wie die Halperin-Brüder ein gefundenes Fressen.

Diese Zombies hatten aber noch nichts mit den Menschenfleisch und -hirne fressenden Untoten zu tun, mit denen sich der Zombiefilm später als apokalyptisches Genre eingebürgerte: Nicht nur in „White Zombie“ sind sie vielmehr zu ewiger Ausbeutung verdammte Opfer. Ihr Meister belebt sie wieder, um kostenlose Arbeitskräfte für seine Zuckerrohrmühle zu haben, aggressive Akte setzen sie nur auf direkten Befehl von Murder Legendre. Nicht zuletzt spiegelte „White Zombie“ damit kritisch die Kolonialgeschichte von Haiti und aktuellen US-Imperialismus: Noch bis 1934 war die Inselrepublik von den Vereinigten Staaten besetzt.


Zombies am Broadway. In Stimmung und Thematik blieb der Zombiefilm zunächst auf dieser Schiene: Die Verunsicherung entstand nicht nur durch die Voodoorituale, sondern überhaupt durch die unüberbrückbare Konfrontation von Kolonialherren mit einer fremden Kultur. Von Roy William Neills düsterem „Black Moon“ (1934) geht die Linie zum berühmtesten klassischen Zombiefilm: Dessen Titel „I Walked with a Zombie“ (1943) wurde dem kultivierten B-Film-Produzenten Val Lewton zu dessen Ärger aufgezwungen, doch er und Regiegenie Jacques Tourneur ließen sich für ihren subtilen und vieldeutigen poetischen Nachtmahr eher literarisch inspirieren.

Parallel dazu driftete das Horrorkino nach der ersten Hochblüte mit Monsterfilmen wie „Frankenstein“ – dessen Kreatur als entfernter Zombieverwandter gelten kann – in Richtung Parodie, die Untoten wankten in Komödien mit Kriegspropaganda-Botschaft wie „King of the Zombies“ (1941) oder aus New Yorks Nachtclubszene („Zombies on Broadway“, 1945) mit.

Mit einem marxistischen Meisterwerk der britischen Hammer Studios fand diese erste Phase des Zombiekinos den logischen Schlusspunkt. John Gillings „Plague of the Zombies“ (1966) holt die imperialistische Ausbeutung von „White Zombie“ heim ins britische Empire: Ein Adeliger hat sich auf Haiti Voodookenntnisse angeeignet und macht Dorfbewohner zu untoten Sklavenarbeitern für seine Zinnmine.


Apokalypse live. Dann erfand George A. Romero mit „Night of the Living Dead“ (1968) das Genre neu: vom Klassenkampf zu den US-Rassenunruhen und ins Vietnam-Trauma – gefilmt (auch wegen des Minibudgets) wie ein Live-Bericht von der Apokalypse. Die Toten erwachen und fressen die Lebenden – der Zombie ist ab da eine mörderische Version des leichenfressenden Ghuls aus der Mythologie, statt Voodoo gibt es vage Spekulationen über seine Herkunft. Im Gegensatz zum aristokratischen Vampir, dessen Lust auf Blut nach dem Biss für gewisse Zeit gestillt ist, kennt der Hunger der proletarischen Zombiemassen keine Atempause: Er ist auch Inbegriff für hirnlosen Konsum. Im zweiten Teil seines Zombiezyklus hat Romero die Untoten folgerichtig in die Shopping Mall zurückgeschickt, die schon ihr Leben bestimmt hat: „Dawn of the Dead“ (1978) ist als antikapitalistische Satire in seiner Deutlichkeit kaum zu übertreffen, in vier weiteren Teilen hat Romero seine linke Kritik zugespitzt, die Zombies öfter menschlicher als eine gleichgültige Humanität dargestellt.

Der Riesenerfolg von „Dawn of the Dead“ in einem krisengeschüttelten Europa führte zur ersten Welle von Zombiefilmen vor allem aus Italien. Sie trieb surreale Blüten: Unvergesslich an Lucio Fulcis „Woodoo“ (1979) ist ein absurder Unterwasserzweikampf zwischen Zombie und Hai. In Umberto Lenzis apokalyptischer Endlosschleife „Nightmare City“ (1980) wirken die Zombies lebendiger als Hauptdarsteller Hugo Stiglitz – und sind erstmals schnell zu Fuß. Statt langsamer lebender Leichen bot auch Danny Boyles „28 Days Later“ (2002) blindwütig rasende Virusopfer und damit ein postmodernes Schlüsselbild für eine seither nicht abreißende Welle von Zombiefilmen.


9/11-Metapher. Sympathische Komödien wie die schlaue britische Slacker-Satire „Shaun of the Dead“ (2004) sind dabei die Ausnahme, bezeichnender ist das bestürzend von seiner Botschaft bereinigte Remake von (2004) „Dawn of the Dead“ durch Zack Snyder: Seit 9/11 sind Zombies endgültig eine eigenschaftslose Metapher für Krisenzeiten – eine mit Ego-Shooter-Videospiel-Methoden, Survivalismus-Milizgeist und Überwachungsstaat-Verteidigungsrethorik zu bekämpfende Bedrohung. Die (un-)toten Irak-Soldaten, die in Joe Dantes „Homecoming“ (2006) zurückkamen, um die Regierung, die sie verheizt hat, abzuwählen, haben auf verlorenem Posten gekämpft.

Mit „World War Z“ ist heuer aus einem subversiven Billigfilmgenre endgültig Blockbustermaterial geworden, und nicht nur rund um die Erfolgsserie „The Walking Dead“ hat man Zombies als Material für Merchandising-Profite entdeckt. So ist der Zombie irgendwie doch ein Voodoo-Opfer geblieben, nur ist der böse Zauber jetzt die Konsumkultur der Gegenwart.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2013)

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