Großbritannien: „Illegal hier? Geht nach Hause!“

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Ausländern weht ein scharfer politischer Wind entgegen. Die britische Regierung verschärft die Gesetze und trägt mit der EU einen Streit über Sozialtourismus aus.

London. Wenn das britische Unterhaus am Dienstag zur entscheidenden Abstimmung über ein neues Zuwanderungsgesetz zusammentritt, werden die Abgeordneten genau wissen, was die Wähler von ihnen erwarten: Nach einer diese Woche veröffentlichten Umfrage halten 67 Prozent der Befragten „drastische Maßnahmen“ zur Einschränkung der Zuwanderung für notwendig. 52 Prozent erklären, eher eine Partei wählen zu wollen, die eine harte Haltung gegenüber Ausländern vertritt.

Achtzehn Monate vor der nächsten Unterhauswahl wagt es keine Partei, sich dieser klaren Botschaft der Wähler zu widersetzen. Die Strategen der regierenden Konservativen setzen ganz klar darauf, sich im Wahlkampf als Anti-Zuwanderer-Partei zu profilieren. Innenministerin Theresa May steht dabei an vorderster Front. Die für ihre extravagante Schuhmode bekannte Politikerin ist dafür verantwortlich, dass ihr Ministerium diesen Sommer Klein-Lkw mit Plakaten durchs Land schickte, auf denen stand: „Illegal hier? Geht nach Hause!“

Der Rat der britischen Werbeindustrie hat diese Kampagne als „rassistisch“ verurteilt. Von der Politik hingegen wagt niemand derart klare Worte. Selbst die oppositionelle Labour Party versucht die Regierung an Härte zu überbieten. Ihr Hauptkritikpunkt an dem neuen Gesetz ist, dass es die Einreisekontrollen nicht noch weiter verschärft. Dass die neuen Bestimmungen den Zugang von Ausländern zum Gesundheitswesen und Sozialleistungen erschweren, die Voraussetzungen zur Niederlassung im Land verschärfen und etwa Ärzte und Vermieter zu einem „aktiven Ausschnüffeln“ (so das Movement against Xenophobia) von Ausländern anhält, findet nur mehr bei Aktivisten eindeutige Ablehnung: „Einmal mehr werden die Ängste der Bevölkerung weiter angeheizt, anstatt das Haus in Ordnung zu bringen“, sagt Shami Chakrabarti, die Direktorin der Menschenrechtsgruppe Liberty.

Das Gefühl, zunehmend weniger Herr im eigenen Haus zu sein, ist weit verbreitet. Allein im Jahr 2012 wurden 176.000 neue Zuwanderer registriert, weit mehr als das Regierungsziel von 100.000. Zudem wurden zwei Millionen Einreisevisa (ausg. Touristen) vergeben, etwa an Studenten. Insgesamt kommen im Jahr 70 Millionen Menschen ins Land, die Dunkelziffer jener, die bleiben, ist unbekannt. Großbritannien hat kein Meldegesetz. Ein großer Teil der Zuwanderer kommt aus den neuen EU-Staaten.

Labour öffnete die Grenzen

Und obwohl es die britische (Labour-)Regierung war, die 2004 die EU-Grenzen öffnete, werden heute britische Politiker und Medien nicht müde, die Probleme mit der Zuwanderung der EU anzulasten. Zu einer offenen Konfrontation kam es diese Woche, als der Sprecher von EU-Sozialkommissar László Andor der britischen Regierung vorwarf, „nicht den Funken eines Beweises für den behaupteten Sozialtourismus“ vorgelegt zu haben.

Wie fundamental die Differenzen zwischen Brüssel und London sind, zeigt die Debatte über eine EU-Studie, derzufolge mehr als 600.000 wirtschaftlich nicht aktive EU-Bürger in Großbritannien leben. Tagelang trommelten rechtsgerichtete Medien diese Zahl und suggerierten enorme Belastungen für den britischen Steuerzahler. Innenministerin May wollte da nicht zurückstehen: „Wir wollen nur Ausländer hier, die wirtschaftlich etwas beitragen.“ Die EU-Kommission wies hingegen nach, dass von den mehr als 600.000 Menschen ganze 38.000 Arbeitslosengeld bezogen. „Ausländer zahlen mehr in die Sozialkassen ein, als sie bekommen.“

Die Ironie ist, dass britische Gesetze die Probleme verstärken und ausgerechnet eine Anpassung an europäische Standards Abhilfe schaffen würde. So hält Großbritannien immer noch an einem freien Zugang zum Gesundheitswesen fest, der längst nicht mehr finanzierbar ist, während ein Beitragszahlersystem, wie in der EU üblich, dem Gerede vom Sozialtourismus den Boden entziehen würde.

AUF EINEN BLICK

Zuwanderung. Großbritannien, das vor zehn Jahren noch den offenen Arbeitsmarkt in der EU propagierte und Arbeitsmigranten aus den neuen Mitgliedstaaten anlockte, macht nun die Grenzen dicht. In der Bevölkerung ist die Stimmung gekippt. Nun konkurrieren die großen Parteien mit einem möglichst zuwanderungsfeindlichen Kurs. Die sowieso ungeliebte EU ist dabei ein willkommener Verstärker der Emotionen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2013)

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