Die Regierung am Gängelband der Länder

Pröll Häupl
Pröll Häupl(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Bei den Koalitionsverhandlungen haben die Vertreter der Bundesländer ein gewichtiges Wort mitzusprechen – ein guter Beleg dafür, wie die Realverfassung in Österreich tatsächlich aussieht.

Wenig überraschend sind es wieder einmal die Steirer, die als Erste Richtung Wien granteln: Landeshauptmann Franz Voves (SPÖ) ortet „alte Rituale“ bei den Koalitionsverhandlungen und prophezeit der künftigen Bundesregierung wenig Gutes. Sein ÖVP-Pendant Hermann Schützenhöfer gibt Kanzler und Vizekanzler gute Ratschläge: Diese müssten von ihren einzementierten Haltungen abgehen und einen „Reblauspakt“ schließen.

Wäre das Umgekehrte denkbar? Ein Bundesparteichef, der über die Usancen in den Landesregierungen herzieht? Der den Landesparteichefs öffentlich empfiehlt, einen Regierungspakt unter Einfluss größerer Mengen von Alkohol auszuverhandeln?

Natürlich nicht. Und das sagt viel über die österreichische Realverfassung aus: Die Länder und speziell die Landeshauptleute haben eine Position, die weit über ihre formal in der Verfassung festgeschriebene Rolle hinausgeht. Das gilt für die Politik im Allgemeinen und für die politischen Parteien im Speziellen.


Chefverhandler. Und so ist es auch kein Wunder, wie SPÖ und ÖVP die Verhandlungsteams für die Bildung einer neuen Regierung – also eindeutig eine Bundesangelegenheit – zusammengesetzt haben: In ganz zentralen Bereichen wurde die Verhandlungsführung an Landespolitiker delegiert. Bei der ÖVP entscheidet der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer über Budget und Steuerreform, während die zuständige Bundespolitikerin, Finanzministerin Maria Fekter, im Verhandlungsteam gerade noch geduldet ist.

Sein Salzburger Kollege Wilfried Haslauer wird beim zentralen Thema Bildung vermutlich eine über Jahrzehnte verteidigte Kernposition der ÖVP über Bord werfen, nämlich die Ablehnung der gemeinsamen Schule der Zehn- bis 14-Jährigen. Qualifikation in Bildungsfragen kann der gelernte Jurist und Rechtsanwalt keine aufweisen, er hat sich aber als Vertreter der westlichen Bundesländer selbst ins Verhandlungsteam hineinreklamiert. Die haben nämlich öffentlich moniert, eine stärkere Position haben zu wollen – und die auch umgehend bekommen. Und Hermann Schützenhöfer kann seine guten Ratschläge an den Bundesparteichef, wie man richtig verhandelt, auch gleich selbst umsetzen. Er sitzt nämlich ebenfalls im Verhandlungsteam.

Bei den Sozialdemokraten sieht es nur graduell anders aus. Sie haben zwei Landesvertreter im Verhandlungsteam: Dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl wurde die Verhandlungsführung für die Themen Staatsreform und direkte Demokratie übertragen. Und auch der oberösterreichische Parteichef Josef Ackerl darf seine Expertise einbringen.

Kein Bundesparteichef wagt es, seine Ländervertreter zu übergehen oder gar Entscheidungen gegen sie zu treffen. Dabei sind die beiden wirklich Mächtigen in SPÖ und ÖVP da noch gar nicht in Erscheinung getreten: Die Landeshauptleute von Wien und Niederösterreich, Michael Häupl und Erwin Pröll, halten es offensichtlich gar nicht für notwendig, sich in Verhandlungsteams zu setzen, um ihre Interessen durchzubringen.

Die beiden Landeschefs, von denen es heißt, es sei ihnen egal, wer unter ihnen Bundes- oder Vizekanzler ist, ziehen schon seit Jahren die Fäden in SPÖ und ÖVP. Bestes Beispiel: Die Wehrpflicht-Volksbefragung. Es reichte ein kurzes Interview des Wiener Bürgermeisters in der „Krone“, um die sozialdemokratische Position von Pro-Wehrpflicht auf Pro-Berufsheer umzudrehen. Und es genügte dann auch eine Wortspende des niederösterreichischen Landeshauptmannes, um die ÖVP davon zu überzeugen, die bis dahin abgelehnte Volksbefragung doch noch durchzuführen.

Die Bundesparteichefs werden ohnehin nur mit freundlicher Genehmigung aus dem Wiener Rathaus bzw. aus St.Pölten installiert. Michael Häupl hatte bei der Inthronisierung seines früheren Wohnbaustadtrats Werner Faymann ebenso die Hände im Spiel wie Erwin Pröll, als dessen Landsmann Michael Spindelegger Prölls Neffen Josef ablöste.


Gegen jede Vernunft. Aber ebenso gelingt es anderen Landeschefs, Projekte auch gegen jede Vernunft durchzusetzen. Warum sonst würde beispielsweise ein verkehrspolitisch nicht notwendiger aber umso teurer Tunnel durch die Koralm gebohrt oder eine Medizinfakultät in Linz eingerichtet?

Woher kommt diese Macht der Länder und ihrer politischen Repräsentanten? Nicht unwesentlich ist eine historische Komponente: Länder haben in Österreich eine identitätsstiftende Funktion. Man fühlt sich als Kärntner, als Tiroler oder Steirer – mindestens ebenso, wie man sich als Österreicher fühlt. Das erhöht automatisch Einfluss und Handlungsmöglichkeiten der regionalen Politiker. Außerhalb der Bundeshauptstadt ist die Landesidentität mit ausgeprägter Anti-Wien-Stimmung verbunden, die von Landespolitikern oft noch geschürt wird. Tirols legendärer Landeshauptmann Eduard Wallnöfer war ebenso ein Meister darin wie der Steirer Josef Krainer oder der Wahl-Kärntner Jörg Haider.

Rein formal ist die Machtbasis der Länder zwiespältig: Die Landtage als gesetzgebende Körperschaft sind spätestens mit dem EU-Beitritt praktisch bedeutungslos geworden. Nur für wenige Materien sind sie überhaupt noch zuständig – und da wäre es oft besser, würde es bundesweit einheitliche Regelungen geben. Dass es in Österreich neun unterschiedliche Regelungen für den Jugendschutz gibt, ist ebenso wie die neun unterschiedlichen Bauordnungen nur damit erklärbar, dass die Landtage ihre letzten verbliebenen Einflussbereiche nicht abgeben wollen.

Ganz anders sieht es mit der Landesregierung aus: Diese hat – vor allem in Person des Landeshauptmannes – tatsächlich eine realpolitische Bedeutung. Eine sehr angenehme noch dazu: Während der Bund die unangenehmen Dinge erledigt und das Geld bei seinen Bürgern eintreibt, dürfen die Landespolitiker einen guten Teil davon ausgeben. Ein Drittel der Einnahmen fließt über den Finanzausgleich an die Bundesländer weiter. Die haben damit zahlreiche staatliche Aufgaben zu erledigen – von den Spitälern über die Pflege bis hin zur Förderung des Wohnbaus. Aber es bleibt noch einiges übrig, das nach Gutdünken verteilt werden kann: für Förderungen, von der Landestracht bis zum Speckfest, für regionale Kultur, für soziale Wohltaten. Auf die Spitze getrieben haben Letzteres die Kärntner Freiheitlichen, die Hilfsbedürftigen persönlich einen Hunderter zusteckten. Das alles schafft Dankbarkeit und Abhängigkeit gleichermaßen.

Kein Wunder, dass unter diesen Umständen stabile Verhältnisse gedeihen. Wer einmal auf dem Sessel des Landeshauptmannes sitzt, bleibt dort meist auch sehr lange. Anders als in der Bundespolitik wird das Personal kaum ausgewechselt – es sei denn, es verspekuliert das Landesvermögen (wie Salzburgs Landeschefin Gabi Burgstaller) oder verwandelt das Land in einen Korruptionssumpf (wie die Kärntner Freiheitlichen).

Für den überragenden Einfluss der Landesparteien auf die jeweilige Bundespartei gibt es noch weitere Gründe. Bei der ÖVP etwa jenen, dass die Bundespartei als eigenständige Organisation praktisch nicht vorhanden ist. Als ÖVP-Mitglied und -Politiker ist man bei einem der Bünde, und die wiederum sind länderweise organisiert.

Auch finanziell und organisatorisch haben die Landesorganisationen eine nicht zu unterschätzende Macht. Die recht üppige Parteienförderung der Bundesländer kommt letztlich natürlich auch der Bundespartei zugute – so die Landesorganisationen sich nicht querlegen (was auch manchmal passiert). Bei Wahlkämpfen ist die Bundespartei darauf angewiesen, dass an der Basis auch tatsächlich mobilisiert wird. Der frühere ÖVP-Chef Wilhelm Molterer weiß seit der Wahl 2008 ein Lied davon zu singen, was passiert, wenn die Länder in einem Wahlkampf nicht so richtig wollen.

Und natürlich befinden sich die Landesorganisationen auch rein formal in einer Machtposition, wenn es um die Bestellung der Parteispitze geht. Die Delegierten werden schließlich von den Ländern ausgesucht. Diese formale Machtposition muss meist gar nicht ausgespielt werden – eine Drohung im Vorfeld reicht.


Seltsame Personalentscheidungen. Spätestens, wenn es bei den Regierungsverhandlungen ans Eingemachte geht, wenn also die Posten vergeben werden, kann man sicher sein, dass sich die Länder intern wieder lautstark zu Wort melden. Und wenn es die eine oder andere seltsame Personalentscheidung geben sollte, braucht man sich nicht zu wundern, wie die zustande kam. Dann hat man eben noch einen ÖAABler aus Tirol gebraucht. Einen Wirtschaftsbündler aus Salzburg. Oder einen Gewerkschafter aus der Steiermark. Qualifikation ist nicht das wesentliche Kriterium.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2013)

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