Schlägt uns eine neu entdeckte innere Uhr die (letzte) Stunde?

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In jeder Zelle wird das Alter dokumentiert, vielleicht auch bestimmt. Beim Lesen dieser Uhr zeigt sich, dass verschiedene Gewebe unterschiedlich rasch altern.

Wie alt sind Sie? Das ist so einfach gar nicht zu sagen, der Blick in die Geburtsurkunde bietet trügerische Sicherheit, er zeigt nur das chronologische Alter, nicht das biologische. Zudem sind Sie möglicherweise nicht überall gleich alt, und ich bin es auch nicht, wer weiß, ob nicht verschiedene Gewebe des gleichen Körpers verschieden rasch altern, die Haare schon grau sind und das Herz noch ruhig pumpt? Kann man es wissen, kann man es messen? Gibt es etwas in Zellen etwas, was das Alter dokumentiert oder gar bestimmt, eine Uhr, die die Stunde schlägt? Und wenn ja, kann man sie beeinflussen – das Leben verlängern?

Immanuel Kant, sonst der nüchternste Philosoph von allen, vermutete, dass die Lebenszeit bei der Geburt feststeht und man wohl daran tue, dem Schlaf nicht „mehr als ein Dritttheil seiner Lebenszeit“ einzuräumen, sonst „verrechne man sich sehr in Ansehung des Lebensquantum“ („Streit der Fakultäten“). Später zeigte sich experimentell – von Fadenwürmern bis zu Affen –, dass karge Kost das Leben verlängert, bei Menschen ist das nicht so klar, man weiß auch nicht, was Altern überhaupt ist, es gibt nur Hypothesen, viele.

Keine Zeiger-, sondern eine Art Sanduhr

„Um das Altern zu bekämpfen, brauchen wir zuerst einen objektiven Weg, es zu messen“, erklärt Steve Horvath (Genetiker und Biostatistiker der University of California, Los Angeles). Er sucht seit einiger Zeit eine innere Uhr, und zwar eine, die anders ist als die bekannten. Die kann man sich als kreisende Zeiger vorstellen, die bekanntesten sind die „circadian clocks“, sie halten unsere Körper im Tagesrhythmus. Die gesuchte Altersuhr müsste anders laufen, so wie ein Sanduhr.

Auch derartige Zeitmesser haben wir, in jeder Zelle: Telomere. Die sitzen an den Enden der Chromosomen, sie werden bei jeder Zellteilung kürzer, und wenn sie zu kurz werden, kommt der Tod. Die Telomere schlagen also den einzelnen Zellen die Stunde, vielleicht haben sie auch mit dem Altern des ganzen Körpers zu tun, es ist nicht klar. Horvath ist deshalb auf einer anderen Spur, er geht der Methylierung der DNA nach. Die ist ein Phänomen der Epigenetik – der Steuerung der Gene –, bei ihr werden an Gene Methylgruppen angehängt, damit wird die Aktivität erhöht. Im Detail ist es komplizierter, die Aktivität kann durch Methylierung auch gemindert werden, und Methylgruppen können auch abgehängt werden – aber wie auch immer, die eingeschlagene Richtung summiert sich von Zellteilung zu Zellteilung, es wird immer mehr Methylierung oder immer weniger.

Brust ist älter als der Rest des Körpers

Das wurde schon oft gemessen, Horvath hat nun 8000 Befunde von 51 Zell- und Gewebetypen zusammengeführt (Genome Biology, 14, R115): Ein Körper altert nicht überall gleich, das Herz ist etwas jünger als der Rest, es mag daran liegen, dass das Herz immer wieder Stammzellen rekrutiert; andere Gewebe altern rascher, vor allem das der weiblichen Brust: „Sie ist zwei bis drei Jahre älter als der Rest des Körpers einer Frau“, berichtet Horvath. Und er vermutet, dass dieses Gewebe deshalb anfällig ist für Krebs. Wenn der kommt, beschleunigt sich das Altern rasant, Tumorgewebe ist 36 Jahre älter als gesundes Gewebe der gleichen Person.

Und es geht nicht nur um verschiedene Gewebe, es geht auch um das Alter: Am Anfang unseres Lebens steht die Methylierungsuhr auf null, dann beschleunigt sie auf hohe Touren, im Alter von 20 bremst sie sich ein und bleibt konstant. So ist es bei uns, so ist es bei den Schimpansen. Bei Gorillas ist es anders, vielleicht hat diese Uhr auch etwas mit der Evolution zu tun, spekuliert Horvath, aber das ist natürlich reine Spekulation.

Und alles andere, woran diese Uhr denken lässt, vor allem das, woran man automatisch denkt? „Kann diese Uhr als Werkzeug gegen das Altern genutzt werden?“ Horvath fragt sich das natürlich und antwortet mit großer Vorsicht: „Das ist eine aufregende Frage, die wir beantworten müssen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2013)

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