Argentinien: Keiner soll merken, dass Kirchner verloren hat

Kirchner-Rivale Sergio Massa – der eigentliche Wahlsieger – küsst euphorisch seine Frau, Malena.
Kirchner-Rivale Sergio Massa – der eigentliche Wahlsieger – küsst euphorisch seine Frau, Malena.(c) REUTERS (ENRIQUE MARCARIAN)
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Die Partei der Präsidentin konnte bei der Parlamentswahl nur mit Mühe ihre Mehrheit verteidigen: Kirchner ist weit entfernt von der notwendigen Zweidrittelmehrheit, um ihre Amtszeit zu verlängern.

Buenos Aires. Am Ende gab es nur Jubel: Praktisch alle Kandidaten, deren Gesichter auf Wahlplakaten seit Juni das gesamte Land bedeckt hatten, waren am Sonntagabend strahlend, feiernd, tanzend im TV zu betrachten. Argentiniens Parlamentswahl produzierte offensichtlich ausschließlich Sieger. Da war Mauricio Macri, der liberale Bürgermeister von Buenos Aires, dessen Partei PRO in der Hauptstadt siegte, da war das sozialdemokratische Bündnis UNEM, das im ersten Anlauf in der Kapitale auf zwei solide zweite Plätze kam – vor den Kandidaten der Präsidentin Cristina Kirchner.

Doch auch diese jubelten – wie fast alle hohen Kader der Kirchner'schen „Siegesfront“. Nachher wurde bekannt, dass die wegen einer Operation nicht präsente Präsidentin persönlich ihrem Team Frohsinn verordnet hatte, damit keiner merke, wer wirklich die Wahl verloren hat.
Ausgerechnet der mit schweren Korruptionsvorwürfen belastete Vizepräsident Amado Boudou teilte dem Land mit, dass die Siegesfront stärkste politische Kraft sei und Parlamentssitze hinzugewonnen hatte. Beides stimmte, tatsächlich konnte die Siegesfront drei Kongressmandate zusätzlich erobern und hält 130 der 257 Kongresssitze. Auch im Senat dürfte die Mehrheit bestehen bleiben. In einem zersplitterten politischen Spektrum bleibt die Siegesfront mit 33 Prozent führende Kraft.

Doch ehe die TV-Kameras sendeten, herrschte in dem Hotel, wo die Wahlparty stieg, Katerstimmung. Denn tatsächlich war am Wahlabend klar geworden, dass die Regierungspartei weit entfernt lag von jener Zweidrittelmehrheit, die sie bräuchte, um per Verfassungsänderung Kirchners Amtszeit zu verlängern. Der kleine Zugewinn war nur deshalb möglich, weil die vorangegangene Parlamentswahl 2009 für die Kirchners noch schlechter ausgefallen war. Außerdem musste die Siegesfront miterleben, dass sie die wichtigsten Wahlbezirke des Landes verlor: Besonders schmerzte dabei die Schlappe in der Provinz Buenos Aires, einem Gebiet von der Größe Italiens, in dem 40 Prozent aller argentinischen Wähler leben. Hier triumphierte ein Politiker, der bis zum 22. Juni noch formell Mitglied der Siegesfront war. Sergio Massa, der Bürgermeister der Vorstadt Tigre, war der wahre Sieger dieses Wahlabends. Denn binnen nur 120 Tagen konnte seine „Erneuerungsfront“ in der wichtigsten Provinz des Landes knapp 44 Prozent der Stimmen holen, elf Prozent mehr als der Kirchner-Kandidat. Damit katapultierte sich Massa in die Pole-Position für die Präsidentschaftswahl 2015.

Kirchner-Rivale hat reiche Unterstützer

Erst am 22. Juni hatte der 41-Jährige verkündet, auf einer eigenen Liste zu kandidieren, außerhalb des festgefügten Kirchner'schen Machtapparates. Auch wenn Massa eine Reihe ehemaliger Spitzenfunktionäre hinter sich weiß, ist seine Rebellion ein riskantes Spiel. Der Enkel eines armen italienischen Einwanderers, der nach Anfängen in einer liberalen Partei im peronistischen Machtsystem rasant aufgestiegen war, dann als Chef der Pensionsbehörde und Kabinettschef Cristina Kirchner zuarbeitete, ist bisher nicht viel mehr als eine lokale Größe. Seinen Bürgermeisterjob wird er aufgeben, um eines der 16 Parlamentsmandate zu besetzen, die seine Erneuerungsfront erobert hat. Er will so bald wie möglich in die wichtigsten Städte des Hinterlandes reisen.

Massa – das ist nach einer teuren Kampagne offensichtlich – hat mächtige Förderer in Argentiniens Großwirtschaft. Außerdem genießt er freundlichen Zuspruch des größten Medienkonzerns des Landes, Clarín, der die Kirchner-Regierung seit Jahren zu zerschlagen versucht. Massa wird den Schwung des Moments nutzen, um landesweit Duftmarken zu setzen. Trotz aller Euphorie fehlt es nicht an Stimmen, die anfügen, dass zwischen Argentiniens Kongress und dem rosafarbenen Präsidentenpalast weitaus mehr liegt als jene 15 Straßenblocks entlang der eleganten Avendida de Mayo. Noch kontrolliert Kirchner die Kassen. Ihr Sohn Máximo betonte bereits, seiner Mutter gehe es gut. Ihre ärztlich verordnete Ruhepause währt noch bis Mitte November.

Auf einen Blick

Argentiniens Präsidentin Kirchner hat bei der Parlamentswahl laut ersten Ergebnissen eine herbe Schlappe erlitten. Zur Wahl standen die Hälfte der Abgeordneten im Unterhaus und ein Drittel der Senatoren. Zwar behält ihre Koalition die Mehrheit in beiden Häusern, schrumpft aber merklich. Damit sinken die Chancen der Präsidentin auf eine dritte Amtszeit. Für die dazu erforderliche Verfassungsänderung ist eine Zweidrittelmehrheit notwendig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2013)

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