Albert Camus? Da lachte Foucault nur

Der franzoesische Philosoph Michel FOUCAULT in seiner Wohnung. Paris. Frankreich. 1978
Der franzoesische Philosoph Michel FOUCAULT in seiner Wohnung. Paris. Frankreich. 1978MARTINE FRANCK/MAGNUM PHOTOS
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Frankreichs Intellektuelle schmähten und ignorierten Camus lang. Für die Leser war er dennoch der Größte.

„Der Fremde“ ist das meistverkaufte Taschenbuch in Frankreich, nicht einmal „Der kleine Prinz“ hat sich so gut verkauft. „Die Pest“ rangiert nicht weit dahinter. Und fragte man in der Vergangenheit in Umfragen mit durchschnittlichen Lesern nach dem wichtigsten französischen Autor des 20. Jahrhunderts, kam immer wieder derselbe Name: Albert Camus. Schockiert zeigte sich ein junger französischer Professor, als er seinen Studenten in Amerika dieselbe Frage stellte, er erwartete Proust, Céline, vielleicht noch Claudel oder Sartre. Aber die Studenten waren sich ebenfalls einig: Camus!

Foucault lachte nur. Nein, die Leser haben Camus nie verschmäht, die „Intellektuellen“ (vorzugsweise seiner Heimat) sehr wohl. Nach seiner Veröffentlichung von „Der Mensch in der Revolte“ und dem nachfolgenden heftigen Streit mit Sartre vereisten die Beziehungen zur Linken. Seine Kritik an deren totalitären Tendenzen, an der Rechtfertigung revolutionärer Gewalt brachte ihm in seiner Heimat Hohn und Verachtung ein. Den Antikommunisten wieder war er zu links, kurz: Er passte in kein Lager. Als er 1957 den Nobelpreis erhielt, prophezeite eine so wichtige französische Zeitung wie „Le Monde“, er werde nur Unsinn verzapfen. Und nach seinem frühen Tod 1960 ignorierte man ihn weitgehend. Der Gründer der französischen Wochenschrift „Nouvel Observateur“, Jean Daniel, erinnert sich an eine Zusammenkunft mit dem Philosophen Michel Foucault und anderen renommierten französischen Intellektuellen. Als er seinen verstorbenen Freund Camus erwähnte, erntete er Gelächter. Den durfte man einfach nicht ernst nehmen.

Seit rund zwei Jahrzehnten, spätestens seit dem Fall der Berliner Mauer, ist alles anders. „Der Zusammensturz der ideologischen Gewissheiten hat dazu geführt, dass Camus keine Persona non grata ist“, formuliert es David Sherman, Autor einer Camus-Biografie. Seine maßvolle Form der Revolte wurde wieder wertgeschätzt. Für Dissidenten aus dem Ostblock freilich war er schon lang davor eine wichtige Instanz gewesen. Sie fühlten sich dem Intellektuellen aus ärmsten Verhältnissen nahe, der sich in der Résistance engagiert hatte und sich als „Linker wider Willen“ fühlte.

Dass seine Tochter Catherine den Roman ihres Vaters „Der erste Mensch“ erst 34 Jahre nach dem Tod Camus' veröffentlichte, hatte nicht zuletzt mit ihrer Angst vor den Reaktionen zu tun. Sein Erscheinen beförderte ebenso wie der 50. Todestag 2010 die Camus-Renaissance.

Diese hat aber auch skurrile Blüten. Ex-Staatspräsident Nicolas Sarkozy gestand kürzlich, dass er es wegen Camus bedaure, nicht in Algerien geboren zu sein. Und George W. Bush erzählte, dass er auf seiner texanischen Ranch den „Fremden“ gelesen habe. Er fand diesen Roman, in dem der Held einen Algerier tötet, „eine interessante und kurzweilige Lektüre“. Was wohl Camus, der Freund vieler Anarchisten und überzeugte Pazifist, dazu gesagt hätte? sim

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2013)

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