Kinogeschichte: Ein Jahrhundert Kulturhauptstadt Marseille

Marseille, Filmmuseum
Marseille, Filmmuseum(c) ORF (-)
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Die Marseille-Schau im Filmmuseum zeigt Klassiker und Rares: Stadtbilder zwischen Idyll und Verbrechen.

„Jacques wer?“, fragt der Barkeeper, als der in Marseille gestrandete US-Polizist Jack Daniels bestellt. „Scotch“, versucht sich der des Französischen nicht mächtige Drogenfahnder verständlich zu machen: „El Scotcho!“ Die erheiternde Szene ist nur ein darstellerisches Gustostückerl von Gene Hackman in John Frankenheimers famoser Fortsetzung „French Connection II“ (1975), die Hackman als New Yorker Cop Popeye Doyle auf den Spuren des Kartells in die Hafenstadt schickt – bis zu einer atemberaubenden Handkameraverfolgungsjagd über die Quais.

Marseille als Tor zum Mittelmeer und als Zentrum des Verbrechens, vor allem als Drogenumschlagplatz: Ob nostalgisch getönt wie im Gangster-Hit „Borsalino“ (1970) mit Delon und Belmondo oder aktuell angelegt wie Robert Parrishs trockener Thriller „The Marseille Connection“ (1974) – in den 70ern war die Hafenstadt ein Inbegriff für Krimi-Kino, während sie selbst von rassistischen Ausschreitungen gegen algerische Immigranten und Abwanderung der wohlhabenden Bürger in die Vorstädte erschüttert wurde.

Solche Widersprüche und Überschneidungen zwischen einem imaginären und dem wirklichen Marseille in einem Jahrhundert Kinogeschichte fasst zum Kulturhauptstadtjahr eine Filmmuseumsreihe ins Auge: von ersten Lumière-Stadtbildern aus dem Jahr 1896 über verträumte Dramen wie Jean Epsteins „Cœur fidele“ (1923) zu den kritischen „Heimatfilmen“ des Regisseurs Robert Guédiguan und seiner Marseiller Darstellertruppe um Gattin Ariane Ascaride.

Wo Maurice Tourneur in „Justin de Marseille“ (1936) die Grundlage für die Gangsterfilmtradition setzte, boten Erfolgsfilme wie „Marius“ (1932) oder „Fanny“ (1932) nach Marcel Pagnól ein idyllisches Gegenbild (das noch im Asterix-Band „Tour de France“ zitiert wurde). Das linke Autorenkino nach dem Weltkrieg ist mit Hauptfiguren wie René Allio ebenso vertreten wie mit den militanten Raritäten von Paul Carpita, dazu kommen Projektionen von außen, wie Frankenheimers Film oder das großartige Weltkriegsdrama „Seven Thunders“ (1957) vom Globetrotter Hugo Fregonese. (hub)


„Marseille: eine Stadt im Film“: von 15.November bis 2.Dezember im Österreichischen Filmmuseum

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2013)

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