Verliebt in eine Marke

(c) EPA (Qilai Shen)
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Menschen, die eine emotionale Beziehung zu einem Produkt eingehen, sind die Lieblingskunden von Unternehmen. Doch haben »Lovemarks« tatsächlich etwas mit Liebe zu tun?

Zwei bis sieben neue Paar Turnschuhe können es schon sein. Pro Monat. Julian Poropatich braucht in seiner Wohnung schon einen eigenen Raum für seine 100 Paar Schuhe. Allein im vergangenen Monat hat der 21-Jährige an die 500 Euro für neue Fußbekleidung ausgegeben. Und das ist noch eine schwache Bilanz, meint er. „Es gab schon Monate, da habe ich 2000 Euro für Schuhe ausgegeben, aber ich halte mich im Moment sehr zurück.“

Es ist eine Leidenschaft für Turnschuhe, die Poropatich treibt. Und er ist nicht allein damit – sein Arbeitskollege Michael Frantsich ist genauso auf Schuhe versessen. Die meisten seiner 110 Sammlerschuhpaare passen noch in eine ausschließlich dafür verwendeten Kammer in seiner Wohnung, einige besondere Paare sind sogar in Glaskästen ausgestellt.

„Die meisten glauben, wir sind Nerds, weil wir für ein paar Schuhe zweihundert Euro aufwärts bezahlen und drei- bis viermal im Jahr für einige Tage in Mailand vor einem Shop campieren. Aber das ist uns egal“, meinen die beiden einhellig. Ihre Leidenschaft geht so weit, dass sie ihre Schuhkäufe sogar in einem eigenen Fotoblog festhalten. Einige ihrer Werke, die auf skintcosofshoes.tumblr.com zu sehen sind, wurden sogar schon ausgestellt. Und auch Schuhfabrikant Nike wurde schon auf die beiden Wiener aufmerksam und lädt sie zu Events ein.


Verliebt in ein Produkt. Das verwundert nicht, schließlich sind die beiden Kunden, die sich ein Unternehmen nur wünschen kann. Leidenschaftliche Käufer, die diese Leidenschaft auch noch weiterverbreiten. Es sind Käufer, die eine emotionelle Verbindung zum Produkt eingehen. „Und im Optimalfall ist diese Emotion Liebe“, sagt Heidi Tzavella, Sprecherin von Saatchi&Saatchi Berlin. Die Werbeagentur hat eine Liebesbeziehung zwischen Konsumenten und Produkten zum obersten Ziel des Marketing erklärt. „Lovemarks“ nennt sich das Konzept, das Saatchi&Saatchi-Chef Kevin Roberts 2004 geprägt hat. „Wir sehen das tatsächlich als eine Beziehung wie zwischen Mann und Frau“, sagt Tzavella, „wo man sich zwar liebt, aber sich auch streitet, sich kurz verlässt, aber wieder zusammenkommt.“

Wenn ein Produkt zu einer Lovemark geworden ist, glaube der Kunde, das Produkt gehöre ihm, und er ärgere sich, wenn sich beim Produkt etwas ändert – womöglich schimpft er auch auf Facebook darüber. „Man macht das aber alles aus Liebe“, meint Tzavella. Dadurch gelinge es dem Produkt, sich von anderen abzuheben, die vielleicht günstiger oder qualitativ hochwertiger sind. „Es kann eine glückliche Beziehung sein“, meint sie, „wenn man es richtig macht.“

Das Lovemarks-Konzept wurde jedenfalls vom US-Marketing- und Mediamagazin „Advertising Age“ unter die Top-Ten-Ideen des Jahrzehnts gewählt. Und auch in der Praxis findet es sich immer wieder. So wurden etwa mehrere Kampagnen von Toyota nach dem Lovemarks-Konzept entwickelt. Darin wurden etwa Menschen aufgefordert, anderen eine kleine Freude zu machen und das Video davon an Toyota zu senden. Dadurch wurden positive Gefühle und Liebe zum Teil der Marketingstrategie. „Die Erwartungen des Kunden wurden übertroffen, nicht nur in puncto Verkaufszahlen, sondern auch, was Bekanntheitssteigerung, Seitenaufrufe und andere relevante Zahlen betrifft“, meint Tzavella. „Also ja, Liebe ist messbar.“


Skeptische Wissenschaft. Die Euphorie der Werbeagentur schlägt sich allerdings nicht bis in die Wissenschaft durch. So kritisiert etwa Josef Sawetz, Professor für Kommunikation- und Marketingpsychologie an der Uni Wien, dass das Wort „Liebe“ in diesem Fall nicht passt. Liebe sei schließlich ein komplexes Phänomen, das unbedingt den sozialen Aspekt braucht. Auf Marken sei es daher nicht direkt anwendbar. „Marken sind Objekte. Und wir sehen unsere Liebespartner ja nicht unbedingt als Objekte.“

Produkte und Marken dienen als Bedürfnisbefriediger. Der Umgang mit einem Produkt oder einer Marke kann von einem pragmatischen, emotionslosen Konsum bis hin zu Suchtverhalten reichen. „Starke Marken bauen Welten auf“, sagt Sawetz. Wie stark man in diese Markenwelt hineinkippt, hängt von zwei Faktoren ab. Einerseits von der Kraft des Marketings und der persuasiven Kommunikation – also der Beeinflussung des Gesprächspartners. Andererseits spielt natürlich auch die Persönlichkeitsstruktur der Konsumenten eine Rolle. „Das eine kann ohne das andere nichts bewirken.“

Natürlich könne es auch vorkommen, dass sich jemand grenzenlos einer Marke hingibt. Allerdings ortet der Experte dahinter gewisse Defizite in der Persönlichkeit des Konsumenten. „Wenn es starke Defizite gibt, die diese Person nicht regulieren kann, zum Beispiel im sozialen Miteinander, kann es sein, dass jemand in etwas vollkommen hineinkippt.“


Kunst der Verführung. Dass es sich dabei wirklich um Liebe handelt, bezweifelt der Psychologe. Wenn auch ein Element dabei ist, das gern mit Liebe in Verbindung gebracht wird – die Verführung. „Jeder, der ein Produkt erzeugt oder ein Service anbietet, wird versuchen, seine Konsumenten zu verführen“, sagt Sawetz. Hier könne nur der Einzelne in seiner Kritikfähigkeit versuchen, einen adäquaten Umgang damit zu finden. „Es hängt von der Persönlichkeitsstruktur ab, ob der Mensch das in seine gesamte Lebenswelt gut integrieren kann.“

Wenn es aber nun tatsächlich Liebe ist, die zwischen einem Produkt und seinen Konsumenten entbrennt, müssten sie auch mit einem Nachteil dieser Emotion leben – der Vergänglichkeit. So eng, dass sie ewig hält, ist die Beziehung nämlich meist doch nicht. Schuhsammler Michael Frantsich plant etwa, irgendwann ein eigenes Geschäft mit Schuhen und hochqualitativer Mode zu eröffnen. Und um das nötige Startkapital dafür zu erlangen, würde er auch so etwas wie eine Scheidung in Kauf nehmen: „Ein Freund von uns hat seine Schuhsammlung verkauft und sein halbes Haus damit bezahlt“, erzählt er. Gut möglich also, dass er auch einmal den Glaskasten leer räumt und sich von seinen Schuhen trennt. Bei aller Liebe.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2013)

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