Ukraine: Timoschenko im Hungerstreik

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Die Opposition ruft die Bürger zu Dauerprotesten gegen den Regierungsentscheid auf. In der Hauptstadt, Kiew, kam es zu Rangeleien mit der Polizei. Julia Timoschenko trat in den Hungerstreik.

Derart großer Beliebtheit hat sich der europäische Sternenbanner in der Ukraine schon lange nicht mehr erfreut: Im westukrainischen Lwiw (Lemberg) gingen gestern, Montag, mehrere tausend Studenten auf die Straße, um gegen die Abwendung von der Europäischen Union zu demonstrieren. In der Hauptstadt Kiew versammelten sich ebenfalls hunderte Bürger. EU-Fahnen wehten im eisigen Wind. Junge Menschen trugen selbst gefertigte Schilder mit der Losung „Wir wollen in die Europäische Union“. Für Montagabend war in Kiew ein weiteres Meeting geplant.

Die Anführer der vereinten Opposition – Vitalij Klitschko von der Partei Udar, Arsenij Jatsenjuk von Julia Timoschenkos Vaterlandspartei und Oleg Tjagnibok von der radikalen rechten Freiheitspartei – hielten Reden vor dem Gebäude des Ministerrats, das von Polizisten abgeriegelt war. In Zelten wollen die Anhänger der Opposition ihre Proteste gegen eine prorussische Ausrichtung der Politik in der Ex-Sowjetrepublik fortsetzen.

Timoschenko in Hungerstreik

Die inhaftierte Oppositionspolitikerin Timoschenko ist in den unbefristeten Hungerstreik getreten. In einem von ihrem Anwalt Sergej Wlassenko verlesenen Brief erklärte sie: "Ich beginne einen unbegrenzten Hungerstreik, um (Präsident Viktor) Janukowitsch aufzufordern, das Assoziierungs-und Freihandelsabkommen mit der EU zu unterzeichnen". Dies sei ein Zeichen der Verbundenheit mit den Demonstranten so der Anwalt.

Im Zuge der Demonstration kam es auch zu einem Handgemenge mit Sicherheitsbeamten. Sondereinheiten der Polizei setzten Schlagstöcke ein und feuerten Tränengas auf Demonstranten, die den Ministerrat blockiert und versucht hatten, das Auto eines Staatsbeamten an der Abfahrt zu hindern.

Hintergrund für die aktuellen Proteste ist der außenpolitische Kurswechsel der Regierung, der am vergangenen Donnerstag bekannt geworden war. Das Kabinett hatte das jahrelang ausverhandelte EU-Assoziierungsabkommen auf Eis gelegt, das Ende dieser Woche bei dem Gipfel der Ostpartnerschaft eigentlich hätte unterzeichnet werden sollen.

Die Demonstrationen am Montag waren zahlenmäßig kleiner als jene vom Wochenende, als zehntausende Bürger zu einer proeuropäischen Kundgebung auf den zentralen Kiewer Platz Maidan zusammengekommen waren. Es war dies die größte prowestliche Kundgebung seit der Orangen Revolution vom Jahreswechsel 2004/2005, als viele Ukrainer gegen Wahlfälschungen bei den Präsidentenwahlen demonstrierten und Viktor Janukowitschs Wahl vereitelt wurde. Erst 2010 gelang ihm der Einzug ins Präsidentenamt, als er seine Gegenkandidatin Julia Timoschenko knapp schlug.

Abkommen „noch auf dem Tisch“

Aus Brüssel hieß es gestern, dass das Abkommen „noch immer auf dem Tisch“ sei. Notwendig seien aber der „notwendige politische Wille der ukrainischen Führung, entschlossenes Handeln und ein spürbarer Fortschritt“ bei den Anforderungen, die die EU dem Land gestellt hat. Kommissionschef José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy übten gestern Kritik am Druck Russlands auf die Ukraine. Die Ukraine sei einem „äußeren Druck“ ausgesetzt gewesen; gleichwohl müsse sie sich „frei entscheiden, welche Art von Bindung sie an die EU wolle“.

Janukowitsch will nach Vilnius fahren

Die EU will es offiziell zwar nicht ausschließen, jedoch ist eine Unterzeichnung des Abkommens, das das 45-Millionen-Einwohner-Land politisch und wirtschaftlich näher an die Europäische Union heranführen sollte, unwahrscheinlich. Gestern hieß es aus dem Kiewer Außenministerium, dass Staatspräsident Viktor Janukowitsch „plane, den Gipfel in Vilnius zu besuchen“. Der Staatschef ist seit der Wende quasi abgetaucht und lässt seinen Premier Azarow den Entschluss mit taktischen Überlegungen erklären. Die Oppositionspolitiker haben bereits mitgeteilt, an dem Gipfeltreffen teilnehmen zu wollen.

Für Aufsehen sorgte gestern das Gerücht, die Ukraine werde neben reduzierten Gaspreisen auch umgerechnet 20Milliarden Dollar von Russland für ihren Schwenk erhalten. Premier Azarow wies dies empört zurück. (som/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2013)

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