Großbritannien: Das alte Königreich hat ausgedient

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Das Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands im Herbst könnte den Anfang vom Ende Britanniens einleiten – selbst wenn die Schotten dagegen votieren.

London. In den Ansprachen zum Jahreswechsel wurde das Thema peinlich vermieden. Der britische Premier David Cameron sprach über gesellschaftliche Erneuerung, der schottische First Minister Alex Salmond erinnerte an den 100. Jahrestag des Beginns des Ersten Weltkrieges, und Queen Elizabeth freute sich über ihren Urenkel George. Dabei steht Großbritannien eine epochale Entscheidung bevor: Am 18. September wird Schottland in einer Volksabstimmung über seine Unabhängigkeit entscheiden. Ein Ja würde das Ende des Vereinigten Königreichs nach mehr als 300 Jahren bedeuten.

Danach sieht es – auf den ersten Blick – zwar nicht aus. In den Umfragen steckt das Lager der Unabhängigkeitsbefürworter hartnäckig bei etwa einem Viertel der Stimmen fest. Zuletzt gaben Mitte Dezember 27 Prozent an, mit Ja stimmen zu wollen. Die Anhänger eines Fortbestands des Vereinigten Königreichs aus England, Schottland, Wales und Nordirland lagen bei 41 Prozent. Etwa ein Drittel ist weiter unentschlossen. Unter den bereits entschlossenen Wählern haben die Anhänger der Unabhängigkeit zuletzt ihren Rückstand auf 15 Prozentpunkte verringert. „Es ist noch alles offen“, bestätigt der Meinungsforscher Tom Costley.

Gratisschulen und -Unis

In dasselbe Horn stößt vehement der britische Schottland-Minister Alistair Carmichael, der seine Regierungsmitglieder in London vor Selbstzufriedenheit warnt und im Kampf um das Referendum den Scharfmacher spielt: „Das ist ein Kampf, den wir noch verlieren können. Eine Entscheidung mit 51 zu 49 Prozent löst kein einziges Problem. Und außerdem: Es könnte unsere Seite sein, die nur 49 Prozent bekommt.“

Für diesen Fall versprechen Salmond und seine regierende Scottish Nationalist Party (SNP) den rund 5,2 Millionen Schotten ab dem geplanten Unabhängigkeitstag am 24. März 2016 ein wahres Paradies auf Erden: Kinderbetreuung, Schulen und Universitäten sollen gratis sein, das Land wird auf erneuerbare Energien umsteigen, die Unternehmenssteuern sollen sinken und die Pensionen steigen. Finanziert soll all dies vorwiegend aus den Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee werden, deren Ertrag bisher zum großen Teil London zugeflossen ist.

Das unabhängige Schottland will Mitglied in der EU und der Nato sein, als Währung das Pfund behalten und die Queen als Staatsoberhaupt. In all diesen Fragen spießt es sich: Edinburgh musste mittlerweile einsehen, dass eine EU-Mitgliedschaft neu verhandelt werden müsste. Mit der Nato gäbe es Probleme wegen des SNP-Versprechens, Schottland atomwaffenfrei zu machen, während hier gleichzeitig die atomwaffenbestückten U-Boote der Royal Navy stationiert sind.

Der geplanten Währungsunion hat der britische Schatzkanzler George Osborne schon eine sehr britisch formulierte Absage erteilt. („Ich halte eine Zustimmung für sehr unwahrscheinlich.“) Und die Queen ist als Verfechterin des „Act of Union“, der 1707 den Zusammenschluss von England und Schottland festlegte, bekannt. Hat sie in ihre scheinbar unpolitische Weihnachtsansprache nicht doch eine Warnung verpackt? Nichts werde sein, wie es einmal war, sagte sie bedeutungsvoll.

Drohendes Milliardendefizit

Die Rechnungen – vorwiegend – aus London über ein drohendes Milliardendefizit im künftigen schottischen Staatshaushalt zielen hingegen an der Gefühlsebene der Schotten vorbei. Geschickt präsentiert die SNP ihr Schottland als einen sozialdemokratischen Gegenentwurf zur kapitalistischen Kälte des Tory-regierten Englands. „Wir haben die Belehrungen aus London satt“, donnerte Parteivize Nicola Sturgeon kürzlich.

In einer unheiligen Allianz kämpfen Konservative und Labour für den Fortbestand Großbritanniens in der „Better Together“-Bewegung. Labour weiß, dass der Verlust Schottlands für Jahrzehnte konservative Mehrheiten in London garantieren würde. Premier Cameron ist jenseits des Hadrianswalls so unbeliebt, dass man ihn in der Kampagne versteckt.

Begehrlichkeiten aus Wales

Der Druck auf ihn wird sich dieses Jahr aber ungeachtet des Ausgangs der Volksabstimmung weiter verstärken. In Wales fordert First Minister Carwyn Jones bereits eine „fundamentale Neuordnung“ in Richtung „föderale Nation“. Das kommt fast der Ansage einer Revolution gleich. Auch wenn die Schotten gegen die Unabhängigkeit stimmen, werden sie weiter die Übertragung von Kompetenzen verlangen. Das alte Vereinigte Königreich hat ausgedient.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2013)

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