„Computer Chess“: Erinnerungen an die Zukunft

Computer Chess
Computer ChessRapid Eye Movies, Viennale
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Andrew Bujalskis ungewöhnliche Komödie schildert die Anfänge der digitalen Ära als eine Art Science-Fiction-Dokumentation. Im Wiener Gartenbaukino.

War is death, hell is pain, chess is victory“, erinnert sich einer der Turnierteilnehmer an einen Spruch seines Onkels, als die Paranoia spätnachts steigt, verstärkt von Joints und Spekulationen über das militärische Missbrauchspotenzial der eigenen Errungenschaften im Programmieren. Da hat sich „Computer Chess“, der vierte und bei Weitem beste Spielfilm des schon länger viel gelobten unabhängigen US-Regisseurs Andrew Bujalski, längst in etwas Seltsames verwandelt. Der Konflikt zwischen Mensch und Maschine, erst als pseudodokumentarische Satire präsentiert, hat den Film selbst infiziert: eine Science-Fiction-Vision, geboren aus der Normalität der Nerds.

„Computer Chess“ führt zurück in die frühen Achtziger, als klobige Rechner und (vergleichsweise) zeitlupenlangsame Systeme kaum jemanden beflügelt hätten, sich die anstehende rasante digitale Expansion auszumalen. Nicht einmal die Computernerds, um die es im Film geht. Der durch die Netzkultur omnipräsent gewordene und kaum befriedigend zu übersetzende Begriff „nerd“ begann damals auch erst seinen Siegeszug. Weswegen die Spinner vom Fach noch ganz ungehemmt ihre nerdiness leben konnten, insbesondere unter Gleichgesinnten.

Hornbrillen, Schach und Swinger

Das liefert den komödiantischen Einstieg für Bujalskis Film, der wie gefundenes Material daherkommt: Als hätte es wirklich jenes 1980er-Wochenende gegeben, an dem sich diese Gruppe Twens traf, um ihre Schachprogramme gegeneinander spielen zu lassen. An Schrulligkeiten mangelt es dabei nicht: Die erwartbar nerdig – Hornbrillenfestspiele – aussehenden Teilnehmer sitzen erst bei einer Paneldiskussion unter Leitung eines großsprecherischen Schachexperten (ideal besetzt: der Bostoner Filmkritikerveteran Gerald Peary) und tauschen einschlägige Bemerkungen aus. Bis der residierende Renitenzler der Versammlung kategorisch erklärt: „I find the programming of my fellow competitors to be almost as boring as this discussion.“

Er selbst trägt jedenfalls zur Minderung der Langweile bei: Ein Hotelzimmer kann er sich nämlich nicht leisten, und seine vergeblichen Versuche, im Lauf des Wochenendes einen Unterschlupf zu finden, ziehen den Hohn der Kollegen auf sich. Anderswo sorgt die erstmalige Turnierteilnahme einer Frau für verhaltenen Spott (und Begierde), und es gibt Spannungen wegen einer zweiten Convention, die im Hotel stattfindet. Da trifft sich eine ältere Esoteriker-Begegnungsgruppe, darunter ein Swinger-Ehepaar, das an einem verklemmten Programmierer Interesse zeigt, sehr zu dessen ungelenker Verstörung.

Dieser Kontrast der Generationen und Mentalitäten ist typisch für Bujalskis Konstruktion um Gegensätze (Mensch/Maschine, Vernunft/Emotion, Ordnung/Chaos, analog/digital usw.), die sich aber episodisch in Peinlichkeiten und Absurditäten anstatt dramatisch entladen: Der wahre Zweikampf findet nicht auf dem Schachbrett statt, sondern im Gerangel der Besuchergruppen um den Versammlungsraum für die Schlusszeremonie.

Ein Programmiererteam (Wiley Wiggins und Patrick Riester) stellt verblüfft fest, dass vielleicht auch die Rechner anders ticken: Ihr Programm (Tsar 3.0) verliert bereitwillig gegen andere Computer, aber steigert sich schlagartig, sobald es mit einem menschlichen Gegner konfrontiert wird. Das Niemandsland des Films (austauschbares Hotel, keine genaue Zeitangabe, ziellose Drifter-Figuren) ist der typische Spielraum für eine Slackerkomödie, bis die amüsierte Rätselhaftigkeit sanft ins Unheimliche entgleitet. Statt der erhofften (auf dem Brett wie im Film) Lösungen wird buchstäblich Auflösung produziert.

Ein entscheidender Kunstgriff Bujalskis kommt dabei besonders zu tragen: Er hat sich obsolete Portapak-Videokameras besorgt, die gleich für historische Patina sorgen– weniger Schwarz-Weiß als viele schäbige Graustufen, gerätebedingte Unschärfen, eigenartige Bildstörungen. (An Überwachungskameras darf man auch denken: Immer wieder gibt es Einstellungen aus Computerperspektive.) Diese technischen Fehler werden zunehmend für halluzinatorische Effekte genutzt, während eine Figur dem Schauplatz entkommt – und unerwartet im Loop eines 16-mm-Farbfilms gefangen wird. Wie als Vorahnung der Videovorlieben der YouTube-Ära tauchen indes immer mehr Katzen auf. Bujalskis paradoxes Projekt wirkt selbst wie die Illustration eines Gegensatzes: „Computer Chess“ sieht wie verschrobene Erinnerungen an die Zukunft aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.01.2014)

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