War Heidegger ein "seinsgeschichtlicher Antisemit"?

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Die "Schwarzen Hefte" Martin Heideggers werden erstmals publiziert. Seinen „Kampf gegen das Weltjudentum" zeigen sie sicher nicht.

Es gab schon viele „Heidegger-Affären“, aber vielleicht noch keine hat es so weit in der Kunst gebracht, über Heidegger-Sätze zu diskutieren, ohne dass die Sätze in der Diskussion vorkommen. Dabei sind sie angeblich so brisant, dass sie (wie oft hat man das schon gehört?) ein neues Licht auf das Verhältnis Heideggers zum Antisemitismus werfen.

Gefunden hat sie u.a. Peter Trawny, Gründer des Martin-Heidegger-Instituts in Wuppertal. Sie stehen in den „Schwarzen Heften“, einem philosophischen Tagebuch, das Heidegger von 1931 bis in die 1970er-Jahre führte. Heidegger wollte, dass die Hefte veröffentlicht werden, ganz zum Schluss nach allen übrigen Schriften. Nun ist es so weit: Im Rahmen der Gesamtausgabe, die seit drei Jahrzehnten herausgegeben wird, werden im Februar und März in drei Bänden die Aufzeichnungen von 1931 bis 1941 veröffentlicht.

Seriös orchestriert hätte das werden sollen, von einer Pressekonferenz und einem 60-seitigen Essay aus der Feder des deutschen Heidegger-Experten Trawny, „Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung“. Doch haben die Herausgeber offenbar französischen Kollegen zu sehr vertraut: Diese plauderten ein ihnen geschicktes „Memo“ prompt aus.

Im Land, dessen Philosophen wie in keinem anderen Land von Heidegger beeinflusst worden sind, sah man diesen lange nur als reinen Denker, während einige wenige gegnerische Philosophen gern in die Rolle von Hobbyhistorikern schlüpfen und ihn schlichtweg als deutschen Teufel abstempeln. Ins Rollen gebracht hat die neue „Affäre“ unter anderem der französische Heidegger-Forscher Hadrien France-Lanord. Er hat in einem soeben erschienenen neuen Heidegger-Lexikon („Dictionnaire Martin Heidegger“) den Eintrag mit dem Titel „Antisemitismus“ geschrieben – in dem zu lesen ist, dass in sämtlichen Heidegger'schen Schriften keine einzige antisemitische Zeile zu finden sei. Die nun bekannten Sätze aus Heideggers Feder, sagt der Verfasser jetzt, seien „schockierend, unerträglich“.

Was steht wirklich bei Martin Heidegger? Bisher bekannt sind nur einige wenige aus dem Kontext gerissene Satzfetzen. Peter Trawny glaubt jedenfalls, den Beweis für einen „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“ gefunden zu haben. Das „Weltjudentum“ wird etwa mit „Entwurzelung“ in Verbindung gebracht und dem „Rechnen“ – ein Heidegger'scher Schlüsselbegriff für die von ihm angeprangerte Seinsvergessenheit, die Unterwerfung unter die „Machenschaft“. Damit stülpt er dem „Judentum“ offenbar dieselben Kategorien über wie dem Amerikanismus oder dem Bolschewismus.

Aber was sagen drei, vier Sätze von abertausenden Seiten, die Heidegger geschrieben und veröffentlicht hat? Und wie viel Gewicht haben sie für die Einschätzung von Heideggers kompliziertem Verhältnis zum Antisemitismus? Für Rüdiger Safranski war er ein „Konkurrenzantisemit“, die rassistische Weltanschauung verurteilte er massiv, seine Vorlesungen waren völlig frei von Antisemitischem, nur private Äußerungen verraten gewisse jüdische Ressentiments. Und dass er menschlich wie politisch kein gutes Vorbild war, ist auch nichts Neues.

Was können ein paar Sätze daran ändern? Vielleicht stellt sich bald heraus, dass der bisher vernünftigste Satz zum Thema von der Philosophin Sylviane Agacinski stammt, die die Passagen aus den „Schwarzen Heften“ ebenfalls gelesen hat: „Wir wissen seit Langem alles, was man darüber wissen muss.“ Eines ist jedenfalls wahrscheinlich: Um Heidegger einen „Kampf gegen das Weltjudentum“ zu attestieren, wie soeben eine angesehene deutsche Zeitung, werden die umstrittenen Passagen nicht ausreichen.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2014)

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