St. Petersburger Binsenweisheiten

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Scharfe Wurst, 330 Nebeltage – und was die Metropole mit Spanien im August gemein hat.

Es ist ja so. Wer nicht viel erwartet, der kann auch nicht enttäuscht werden. Oder, anders gesagt: Anpassungsfähigkeit ist alles! Diese Binsenweisheit muss der Wiener erst noch verinnerlichen – und wo könnte er das besser als in St. Petersburg? Dort hat man sich ohne großes Jammern darauf eingestellt, dass es an 330 Tagen im Jahr keinen Sonnenschein gibt, was die Tage, an denen die Sonne doch vom Himmel lächelt, auf nur 35 reduziert. So erfahren wir es im gut gefüllten Touristenbus, der gleichzeitig überheizt und wenig belüftet ist.

Das haben wir leider anders erwartet. Weil das hinter uns sitzende Pärchen sich auch noch dazu entschlossen hat, sein nach scharfer Wurst und Zwiebeln riechendes Mittagessen während der Sightseeingtour einzunehmen, flüchten wir, ehe der Bus die Newa Richtung Peter-Paul-Festung passiert. Eben noch froh über ein wenig Frischluft, lassen uns erste Erfrierungserscheinungen an den Gliedmaßen erschöpft im nächsten Café niedersinken.

Was uns fehlt? Die Fähigkeit der St. Petersburger, Unabwendbares gelassen hinzunehmen und, noch viel wichtiger: uns auch darauf einzustellen. Weil der Himmel ohnehin von einer kilometerdicken Nebeldecke verhangen ist und das nasse Grau Straßen, Häuser und Autos mit einer hässlichen Schmutzschicht überzieht, beginnt das Leben, wenn diese wunderbare Stadt in vollem Glanz erstrahlt: mit Anbruch der Dunkelheit. Es ist wie im spanischen August – tagsüber sind die klimatischen Bedingungen schwer zu ertragen. Abends aber, wenn sich tausende fröhliche Spaziergänger am prächtigen Newski Prospekt tummeln, ist die Kälte wie weggeblasen. Ergo macht eine Umstellung auf die neue Zeitzone – die Differenz beträgt im Winter drei Stunden – keinen Sinn. Bis Mittag schlafen und Wodka trinken bis drei Uhr in der Früh? Auch wir sind lernfähig!

E-Mails an: anna.gabriel@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.01.2014)

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