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Ja, Panik: "Nüchternheit steht uns besser"

(c) Gabriele Summen
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Ja, Panik, die famose burgenländische Band mit Wohnsitz in Berlin, hat auf ihrem fünften Album den Tanzbeat entdeckt. Die »Presse« traf Sänger Andreas Spechtl in einem Wiener Café.

Sie alle sind vor Jahren nach Berlin gegangen. Was sind die prägnantesten Mentalitätsunterschiede zwischen Berlin und Wien?

Das kann ich gar nicht beantworten. Wir kennen kaum richtige Berliner. Die Stadt ist sehr offen und zieht Menschen aus allen Himmelsrichtungen an. Sogar Deutsche. Wenn man in Wien ausgeht, trifft man garantiert jemanden, den man kennt. In Berlin passiert dir das nicht.

Haben Sie denn nirgends sozial angedockt?

Doch. Da gibt es eine kleine Szene, zu der etwa auch Die Heiterkeit, eine Band aus Hamburg, zählt. Ich arbeite auch viel mit der Christiane Rösinger zusammen, aber die ist auch keine gebürtige Berlinerin.

Auf dem neuen Album gibt es zahlreiche Anspielungen auf Madagaskar. Waren Ja, Panik wirklich dort?

Nein. Es geht ja um einen ortlosen Ort, um eine Utopie. Wir haben uns „Libertatia“, den Namen dieser Piratenkolonie, die angeblich im 17. Jahrhundert an der Nordspitze gewesen sein soll, entlehnt. Wir waren sehr fasziniert von der Idee der angewandten Anarchie dort.

Sollte Popmusik wieder mehr versuchen, die Gesellschaft zu verändern?

Mir würde schon reichen, wenn sich die Idee etablieren würde, dass es prinzipiell anders sein könnte. Die Sehnsucht nach einer Utopie finde ich wichtiger als konkrete Regeln eines Andersseins.

Ist Kapitalismus alternativlos?

Nein, aber ich finde es sehr faszinierend, dass so viele sich die Welt gar nicht mehr anders vorstellen können. Manche glauben sogar, es sei immer so gewesen. Diese Verfestigung des Denkens wollen wir aufbrechen.

Die Alben von Ja, Panik sind stets auf kleinen Labels ediert worden. Hat ein Major keine Chance bei Ihnen?

Sicher nicht. Mittlerweile ist es ja soweit, dass die großen Firmen nicht einmal mehr das kapitalistische Versprechen einlösen. Das wissen mittlerweile auch Größen wie Bowie und Beyoncé.

Ja, Panik reichen zum Album auch ein Manifest. Ein Punkt behandelt das Wiederzusichkommen nach der großen Independenthalluzination. Was bedeutet das?

Wir wollten mit unseren Thesen schlicht den Utopiegedanken beleuchten. Was uns betrifft, so wissen wir, dass wir immer in einer Art Enklave sein werden. Wir sind schlicht weiße Männer in Europa. Dessen müssen wir uns bewusst sein und nicht so tun, als ob wir die Weltharmonie herstellen könnten, wie es etwa Bono Vox von U2 tut. Nüchternheit steht uns besser als so ein Idealismus.

Trotzdem haben Sie den idealistischen Luftikus Jean-Jacques Rosseau zitiert. Warum?

Wir deklinieren gerne klassisches europäisches Gedankengut durch und suchen die Widersprüche. Gerade Rousseau war ein Zerrissener. Einerseits war er wichtig für die Entwicklung des sozialistischen Gedankens, andererseits gibt es den Topos des „edlen Wilden“ bei ihm, was durchaus rassistische Anmutung hat.

Zum wachen Geist gesellt sich auf „Libertatia“ das Tanzbein. Wieso haben Ja, Panik nun den Beat entdeckt?

Der Ausstieg von zwei Kollegen hat uns diese Veränderung stark erleichtert. Wir hatten uns schon als festgefahren empfunden. Als Trio klingen wir jetzt ganz frisch. Es ist ein wenig so wie der Übergang von The Jam zu Style Council. Da hat Paul Weller plötzlich mit Soul, Disco und sogar Housemusik geliebäugelt. Oder wenn ich einen Clash-Vergleich machen darf: „Libertatia“ ist unser „Sandinista“.

An einer Stelle singen Sie „Dance the ECB“. Ist das Eskapismus Richtung Dancefloor?

Nein. Bei diesem Text handelt es sich gewissermaßen um ein durch den Fleischwolf gedrehtes Zitat von Karl Marx, der meinte, man müsse die Verhältnisse zum Tanzen bringen, indem man ihnen die eigenen Lieder vorsingt.

Dennoch, ist Partymachen nicht doch eher systemerhaltend?

Für uns nicht zwingend. Ich verstehe unser Album als Statement gegen die hedonistische Kultur, gegen die Entpolitisierung à la Berghain- und Pratersaunamenschen. Gleichzeitig sind wir aber gegen alle bierernste Didaktik.

Sind Ja, Panik trotz Dancebeat noch eine melancholische Band?

Auf jeden Fall. Melancholie ist Freude in der Traurigkeit. Das ist etwas sehr Hoffnungsvolles, dem wir uns keinesfalls verschließen wollen.

Steckbrief

2005 Gründung der Band in Neusiedl. Ja, Panik ist eine österreichische Popband mit Wohnsitz Berlin, bestehend aus Sänger Andreas Spechtl, Schlagzeuger Sebastian Janata und Bassist Stefan Pabst.

2006 erscheint das Debütalbum „Ja, Panik“ auf dem Berliner Label Staatsakt.

2007 zieht Sänger Andreas Spechtl um nach Berlin, "The Taste And The Money" erscheint.

2008 Die wichtige deutsche Popgazette „Spex“ bezeichnet „The Angst & The Money“ als wichtigstes Album seit Blumfelds „L'état et moi“.

2010 „DMD KIU LIDT“ erscheint. Der Titel ist ein Akronym von „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit“.

2014. Am 25. Jänner stellt die Band ihr Album „Libertatia“, das am 31. Jänner veröffentlicht wird, beim FM4-Geburtstagsfest in der Ottakringer Brauerei vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2014)

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