Wawrinkas langer Anlauf zum Ruhm

Stanislas Wawrinka
Stanislas WawrinkaAPA/EPA/JOE CASTRO
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Stanislas Wawrinka erfüllte sich in Melbourne mit einem ersten Major-Triumph einen Lebenstraum.

Wen hat er nicht alles besiegen müssen in diesem Finale, in dieser Sommernacht von Melbourne: Er, der erstaunliche Titel-Held der Australian Open - Stanislas Wawrinka? Erst einen gesunden Rafael Nadal, dann einen verletzten Rafael Nadal, dann sich selbst und die Dämonen der Vergangenheit. Und dann noch einmal einen wiederauferstandenen, stärkeren, aber nicht wieder hundertprozentig fitten Rafael Nadal. Es war schlicht die schwerste Prüfung eines ganzen Tennislebens vor dem schönsten Sieg, vor dem ersten Grand Slam-Titel einer Karriere mit enorm langem Anlauf zum Weltruhm. „Ich weiß gerade nicht, ob das alles ein Traum ist - oder wirklich wahr", sagte Wawrinka nach seinem 6:3, 6:2, 3:6, 6:3-Sieg in einer teils bizarren Tennis-Schlußaufführung bei diesen Grand Slam-Festspielen des Jahres 2014 in der Rod Laver-Arena.

Mit aller Kraft gegen die Versagensängste

Im 36. Anlauf bei einem der vier Majors hatte sich gegen alle Erwartungen ein Mann den ehrenvollen Höchstpreis und das saftige Preisgeld von 2,65 Millionen Dollar erobert, der noch vor zwölf Monaten noch immer als ewiges Talent gegolten hatte - und nicht etwa als „Eiserner Stan" oder „Stanimal", der bärenstarke Wettkämpfer. Und fast schien in diesem merkwürdigen Final-Showdown noch einmal der Alptraum eines schlechteren Gestern zurückzukehren, das Zaudern, Zögern und Zweifeln in einem wichtigen Moment. Denn gegen den sichtlich durch eine Rückenblessur angeschlagenen Matador Nadal wurde der 28-jährige Schweizer zwischenzeitlich so sehr von Nervensausen gepeinigt, dass er dem Nummer-Eins-Spieler fast noch einmal ein unwirkliches Comeback erlaubt hätte, speziell nach dem verlorenen dritten Satz.

Doch so wie er im letzten Jahr irgendwie noch an der Schwelle zur Dreißig die Kurve gekriegt hatte im Welttennis, der hochbegabte und hochsensible Wawrinka, so besiegte er auch unter höchstem Druck seine Versagensängste und tat am Ende seine Pflicht und Schuldigkeit - nämlich den Freund und Weggefährten Nadal mit allem Anstand und aller Professionalität zu besiegen. „Der komplette Respekt soll heute Stan gelten. An seinem Sieg gibt es überhaupt keine Abstriche", sagte Nadal hinterher, traditionell Größe zeigend auch in der Stunde der Niederlage.

Für Wawrinka schloss sich ein Karrierezirkel von Januar 2013 zu Januar 2014, der einen sportlichen und persönlichen Quantensprung bedeutete. Der aber auch dazu geeignet ist, die Hackordnung der Tennisprofis ganz vorne kräftig durcheinander zu wirbeln. Denn der erste Grand Slam-Sieg eines Spitzenmannes außerhalb der Top 4 seit 2005 (Marat Safin, Australian Open) trägt auch eine Botschaft an das Riesenheer der Hoffnungsvollen und oft Desillusionierten in sich, an all jene, die an der Übermacht des Machtblocks um die Herren Federer, Nadal, Djokovic und Murray schier zu verzweifeln drohten. „Yes, we Stan", könnte der Verfolgermeute als Antriebsmotto gelten, bald, wenn die nächsten Majorpokale in Paris und Wimbledon ausgespielt werden.

In seiner Unverdrossenheit, seiner „Never say die"-Attitüde war er allemal ein Vorbild für die Kollegenschaft, der hartnäckige Verbesserer seiner selbst, dieser Stanislas Wawrinka, der auch im Schatten eines Titanen wie Roger Federer nicht verdorrte und einging. Die neue Realität, vorerst jedenfalls, war die, die sich in der Weltrangliste dieses Montags nach den Australian Open niederschlug: Stanislas Wawrinka, Nummer drei. Roger Federer, Nummer acht.

Scheitern als Lebensphilosophie

Wawrinka, auch ein Abbild jenes neuen, späten Sturm und Drangs vieler Beinahe-Dreißiger und Ü30-Profis im Elitetenis, hatte sich vor einem Jahr zum ersten Mal machtvoll ins Gespräch gebracht - damals stand er Novak Djokovic, dem Champion der Australian Open, im Achtelfinale gegenüber, verlor in einem Centre-Court-Thriller mit 10:12 im fünften Satz. Für Wawrinka war das Scheitern gleichwohl ein Gewinn, zeigte ihm die Klassepartie doch, dass er endlich über viele Stunden mit den Großen und Starken mithalten konnte.

Angeführt von seinem schwedischen Coach Magnus Norman, dem ehemaligen Weltranglisten-Zweiten, erlangte er übers Jahr 2013 Zug um Zug die Statur eines ruchlosen Angreifers, der auch vor den Alphatieren der Branche nicht mehr kuschte und zurückwich. Bei den US Open und bei der ATP-WM rückte er jeweils ins Halbfinale vor, festigte seinen Platz in den Top Ten. Sein Meisterstück in Melbourne steckte voller Symbolkraft. In einer Wiederauflage des Duells mit Djokovic war nun er der Marathon-Mann, der das Viertelfinal-Happy-End im fünften Satz mit 9:7 besorgte. 14 Mal hatte er gegen Djokovic zuvor in Serie verloren, zwölf Mal auch in allen bisherigen Partien gegen Nadal - und doch war er es, der Melbourne als Tennis-Großmeister verließ. Der zum Champion gereifte „Stan, the Man", dessen (erfüllter) Traum einen Umweg über so viele Enttäuschungen und Entbehrungen nahm.

So war dieser 26. Januar 2014 auch der Tag, die Stunde, der Moment, um noch einmal auf die Lebensphilosophie des zweiten Schweizer Grand Slam-Siegers zu verweisen, die er sich als Schriftzug auf den linken Unterarm hat tätowieren lassen. Es ist ein Zitat des Schrifstellers Samuel Beckett, das sich dort findet: „Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch´ es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser." Das hat er getan, der unermüdliche Wawrinka, so lange und beharrlich, bis aus Scheitern dann Siegen wurde - selbst gegen Rafael Nadal.

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