Mein Dienstag

Die Entscheidung

Brady Jandreau in Regisseurin Chloé Zhaos „The Rider“.
Brady Jandreau in Regisseurin Chloé Zhaos „The Rider“.Filmladen
  • Drucken

Seinem Herzen folgen oder seiner Vernunft? Wie viel Risiko darf es sein – auf der Suche nach seinem Glück? 

Es gibt da diese Szene in dem Film „The Rider“ (2017) von Regisseurin Chloé Zhao. Der junge Brady (Brady Jandreau) ist gleich an der Reihe für einen Rodeoritt, er ist schon umgezogen und wartet auf seinen Einsatz. Aber er zögert, befindet sich in einem Konflikt. Vor Kurzem hat er sich nämlich bei einem anderen Turnier schwer verletzt. Seine Ärztin rät ihm, nicht mehr zu reiten, da er bei einem erneuten Unfall zum Pflegefall werden könnte. Brady hat aber in seinem ganzen Leben nichts anderes getan als Rodeoreiten, er definiert sich voll und ganz über diesen Sport. Andererseits hat er eine beeinträchtigte Schwester und einen spielsüchtigen Vater, um die er sich kümmern muss. Die beiden würden ohne ihn nicht zurechtkommen.

Da steht er also, der „Rider“. Nimmt er das Risiko in Kauf und folgt seiner großen Leidenschaft, oder verabschiedet er sich endgültig davon, um sich mit seiner neuen Rolle abzufinden und für seine Familie da zu sein? Schweren Herzens, aber restlos überzeugt, entscheidet sich Brady für Letzteres. Vielleicht, weil er glaubt, eine Verantwortung gegenüber seiner Schwester und seinem Vater zu haben. Vielleicht, weil er im Fall eines neuerlichen Abwurfs seine verbliebenen Jahre nicht in einem Krankenbett verbringen will. Vielleicht aber auch, weil er erkennt, dass er auch ohne Rodeo Anerkennung erfahren und glücklich werden kann, dass seine Lebensfreude, gute Laune und Zuversicht nicht von diesem einen Talent abhängen.

Ich kenne keinen anderen Film, in dem der schmerzhafte Akt des Loslassens so differenziert, so feinfühlig, so intelligent beschrieben wird. Vielleicht noch in Kevin Costners „Let Him Go“ (2020), daher werde ich diesem Film sicher auch noch eine Kolumne widmen. Bis dahin habe ich hoffentlich auch meinen Konflikt gelöst. Der Grund, warum ich „The Rider“ dieser Tage rauf und runter sehe und seine Prämisse mit Ihnen teile, ist nämlich der, dass ich seit einiger Zeit in einer ganz ähnlichen Situation wie Brady bin. Zwar ohne Verletzung, ohne Pferde und ohne kranke Schwester. Aber mit der Frage, wie viel Risiko erlaubt ist, um für einen Lebenstraum alles hinter sich zu lassen. Wirklich alles.

E-Mails an: koeksal.baltaci@diepresse.com

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.