Damnatio memoriae: Über die Auslöschung ungeliebter Namen

Auf den Tafeln für die Förderer des Kunsthistorischen Museums fehlt der Name einer Gräfin, der früher einmal dort stand. Eine sehr österreichische Geschichte.

Museumsrundgänge machen den Besucher sensibler für den Alltag. Das Kunsthistorische Museum in Wien war darin erfolgreich, zumindest bei mir. Als ich neulich durch die ägyptische Abteilung ging, erinnerte ich mich an einen Besuch des Hatschepsut-Tempels vor vielen Jahren.

Dort konnte man sehen, wie die Nachfolger der Pharaonin alles unternommen hatten, um die Erinnerung an Hatschepsut zu vernichten: Ihr Name wurde herausgemeißelt. Auch im antiken Rom tilgte man die Erinnerung an Caligula, Nero und Commodus – ziemlich unrühmlichen Herrschern –, denen die Senatoren allerdings zu Lebzeiten zugejubelt hatten.

In Ravenna hackte man die Gesichter missliebiger Herrscher aus den Mosaiken – die Hände an den Säulen sieht man noch heute. In der Sowjetunion retuschierten die Stalinisten Bilder mit Trotzki und erst kürzlich ließ der nordkoreanische Diktator alle Fotos, die ihn mit seinem Onkel zeigten, vernichten. Die Damnatio memoriae ist ein zeitloses Phänomen, dachte ich, während ich im Kunsthistorischen Museum vor jenen Tafeln stand, auf denen das Museum seinen Förderern dankt.

Und, siehe da, auf einer war ein Name entfernt worden. Die Farbe war weg, aber die Gravur konnte man unschwer lesen. „Gräfin Margit Batthyány-Thyssen“ stand da – und spätestens jetzt werden Geschichtsbewusste und Literaturkundige hellhörig werden. Denn dieser Dame hat Elfriede Jelinek in ihrem Stück „Rechnitz (Der Würgeengel)“ ein literarisches Porträt gewidmet.

Aus traurigem Anlass: Zehn Tage, bevor die Rote Armee Rechnitz erreichte, fand am Palmsonntag 1945 im Schloss der Batthyánys ein Fest statt. Gleichzeitig verhungerten in der Umgebung etwa 200 völlig entkräftete Zwangsarbeiter. Ihnen wurde Rechnitz zum Todesort.

Etwa zehn Teilnehmer des Festes der Gräfin Batthyàny sollen das Schloss mit Waffen verlassen haben. Was dann geschah, liest sich in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft so: „Die Opfer mussten zuerst ihre Überkleider ausziehen und sich an den Rand einer ausgehobenen Grube setzen; dann wurden sie erschossen, ein Teil von ihnen vielleicht erschlagen.“ Hauptverantwortlich sollen der örtliche Gestapoführer und der Gutsverwalter, der auch der Geliebte der Gräfin war, gewesen sein.

Ob die Schlossherrin an dem Massaker indirekt beteiligt war, ist umstritten. Elfriede Jelinek rückt sie in die Nähe der Mittäterschaft, wofür es aber keine Zeugen gibt. Sehr wohl aber dürfte die Gräfin zwei der mutmaßlichen Haupttäter geschützt und ihnen zur Flucht verholfen haben. Sonst hat sie zur Mordnacht geschwiegen und führte ihr Luxusleben weiter: Villen, Schlösser, Großwildjagden, Reisen, Kunst, Pferdezucht.

Sehr großzügig soll sie gewesen sein, erinnern sich dankbare Rechnitzer bis heute. Offenbar auch dem Kunsthistorischen Museum gegenüber, sonst hätte man sie ja nicht auf die Tafel der Förderer gesetzt. Nun wurde ihr Name entfernt und doch nicht unleserlich gemacht, und das hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Man sucht nach einer Erklärung, findet sie aber nicht.

Auch auf der Homepage des Museums gibt es keinerlei Hinweise: Die Suche „Kunsthistorisches Museum – Margit Batthyány“ ergibt keinen Treffer. Irgendwie hätte man sich von einer Kultureinrichtung, die dem Bildungsministerium untersteht, einen souveräneren Umgang mit der Geschichte erwartet. Aber vielleicht stellt das Museum seinen Besuchern auch absichtlich ein Rätsel.

Schon in der Antike war es ja keineswegs so, dass Namen der Ungeliebten einfach entfernt wurden. Im Gegenteil. Häufig ließ man absichtlich den Anfangsbuchstaben stehen, um dem Betrachter zu zeigen: „Sieh, hier stand einmal eine berühmte Person. Heute wollen wir nichts mehr mit ihr zu tun haben.“

Sollte das Kunsthistorische Museum einen Lernprozess dieser Art beabsichtigen, so ist ihm das gelungen.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit
Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2014)

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