Banken: Tod in der Londoner City

A man looks out from The View gallery at the Shard, western Europe´s tallest building, in London
A man looks out from The View gallery at the Shard, western Europe´s tallest building, in London(c) REUTERS (SUZANNE PLUNKETT)
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Eine Serie von Todesfällen erschüttert die Londoner Finanzwelt. Am Dienstag stürzte sich ein JP-Morgan-Manager in den Tod, zuvor starb ein Ex-Mitarbeiter der Deutschen Bank.

London. In der hartgesottenen Londoner Finanzwelt herrscht Bestürzung. Am Dienstag, 8.04 Uhr, stürzte sich ein leitender Mitarbeiter von JP Morgan vom Dach des Europa-Hauptquartiers der US-Investmentbank im Londoner Finanzviertel Canary Wharf. Der 39-jährige Gabriel Magee war sofort tot. Wie die Behörden gestern, Mittwoch, mitgeteilt haben, wird ein Fremdverschulden ausgeschlossen.

Zum Todeszeitpunkt herrschte in den Handelsabteilungen der Banken bereits Hochbetrieb. Dutzende Bankmitarbeiter wurden unfreiwillig zu Augenzeugen des Vorfalls. „Die Polizei kam, bedeckte den Körper und ließ ihn dann für alle sichtbar liegen“, sagte eine Bankmitarbeiterin. „Es war schrecklich.“ JP Morgen zeigte sich über den mutmaßlichen Freitod des hochrangigen Computerexperten, der aus den USA stammte, „zutiefst betroffen“.

Der spektakuläre Fall folgt zwei weiteren Todesmeldungen aus der Londoner Finanzwelt in den vergangenen Tagen: Wie gestern bekannt wurde, fand die Polizei am Sonntag die Leiche des 58-jährigen William Broeksmit in seinem Haus im noblen Bezirk South Kensington. Broeksmit war ein ehemaliger Risikomanager der Deutschen Bank, der sich Hoffnung auf einen Vorstandsposten gemacht hatte. Und in der Vorwoche starb Tim Dickenson, der Kommunikationschef des Versicherungskonzerns Swiss Re, unter vorerst ungeklärten Umständen.

Die tragische Serie wirft einmal mehr ein Schlaglicht auf den „Druckkochtopf“ Londoner Finanzwelt, so der Autor Geraint Anderson. Der Druck ist immer enorm, aber nie größer als in den ersten Monaten des Jahres, wenn die Jahresergebnisse erstellt werden und das große Feilschen um die Bonuszahlungen seinen Höhepunkt erreicht. „Eines der größten Probleme für viele Bankmitarbeiter ist, dass sie darauf trainiert wurden, niemals Schwäche zu zeigen“, sagt Anderson, der einst selbst in einer Investmentbank gearbeitet und dann unter dem Pseudonym Cityboy den menschenverachtenden Alltag in der Branche öffentlich dargelegt hat.

Keine Mittel mehr für Boni

Der Druck ist größer denn je, denn die Finanzwirtschaft hat durch die von ihr verursachte globale Finanzkrise seit Jahren ein enormes Imageproblem. Für Bonuszahlungen in Millionenhöhe gibt es heute weder die Mittel mehr noch die gesellschaftliche Akzeptanz. Die Abrechnung mit den Auswüchsen der Finanzwelt in dem Film „The Wolf of Wall Street“ ist in London auf Wochen im Voraus ausverkauft.

Die Europäische Union hat eine Richtlinie erlassen, wonach jeder Bonus, der mehr als das Doppelte des Grundgehalts ausmacht, von den Aktionären genehmigt werden muss. Obwohl die britische Regierung dagegen Klage beim sonst gar nicht geliebten Europäischen Gerichtshof eingebracht hat, suchen viele Banken in London seither verzweifelt nach Schlupflöchern, um die Regelung zu umgehen, ehe sie kommendes Jahr in Kraft tritt.

Schützenhilfe erhielten die Gegner der Bonusregelung zuletzt vom Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, der die Befürchtung äußerte, dass eine Obergrenze nur zu Kompensation „etwa durch höhere Grundgehälter“ führen werde. Auch die Ratingagentur Fitch schreibt: „Ungleiche Auslegung der Kriterien könnte zur Umgehung der Zahlungsbeschränkungen führen.“ Die Evidenz dafür besteht: Amerikanische Großbanken zahlen ihren Topmanagern dieses Jahr ihren Bonus bis zu 50 Prozent in Cash aus, während die Führungen europäischer Banken teilweise bis zu drei Jahre warten müssen, bis die versprochenen Prämien auch fließen.

Praktikant starb im Sommer

Ob die Serie der jüngsten Todesfälle in Zusammenhang mit den Bonusrunden steht, wird wahrscheinlich nie geklärt werden können. Fest steht aber, dass die Betroffenen viele Jahre Teil jenes schillernden Lebens in der Finanzwelt waren, von dem auch der 21-jährige Moritz Erhard träumte. Nach einer 72-Stunden-Schicht kollabierte der Praktikant im vergangenen Sommer und starb. Offizielle Todesursache: ein epileptischer Anfall.

AUF EINEN BLICK

Todesfälle. Am Dienstag stürzte sich ein leitender Mitarbeiter von JP Morgan vom Dach des Europa-Hauptquartiers der US-Investmentbank in London. Am Sonntag fand die Polizei die Leiche des 58-jährigen William Broeksmit in seinem Haus im Londoner Bezirk South Kensington – er war ein ehemaliger Risikomanager der Deutschen Bank. In der Vorwoche starb Tim Dickenson, der Kommunikationschef des Versicherungskonzerns Swiss Re, unter vorerst ungeklärten Umständen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2014)

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