Ein Hingucker, der polarisiert

Tattoos. Früher wurden Tätowierungen mit Arbeiterschaft und niedriger Sozialschicht assoziiert. Heute sind sie ein Breitenphänomen, vor allem bei den Jungen. Wissen das die Personalisten?

Auf einen Blick

Jeder Dritte unter 50-Jährige trägt ein oder mehrere Tattoos am Leib. Und es werden ständig mehr. Das Linzer Imas-Institut ortet in seinem „Körperkult“-Report eine regelrechte „Mainstream-Bewegung“.

Geht es aber um das Besetzen gehobener Positionen, gilt sichtbarer Körperschmuck immer noch als unerwünscht. Zumindest verstecken muss man ihn können – was so manchen Bewerber zu Rollkrägen, Schals oder gar Pflastern greifen lässt. Letztere springen noch mehr ins Auge, sind aber gesellschaftlich opportuner als ein Blümchen am Hals.

Wenn nun der gesuchte Nachwuchs zahlenmäßig knapp wird, werden dann auch die Personalchefs toleranter? Der „Presse“- Rundruf beginnt bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Reich-Rohrwig Hainz. Hier würde Personalmanagerin Gudrun Hamal ein tätowierter oder gepiercter Kandidat sehr überraschen: „Unsere Leute sind von Jugend an sehr ehrgeizig. Sie denken voraus. Ein Summa-cum-laude-Absolvent riskiert seine Karriere nicht für ein Tattoo.“ Die Branche lebe von der Korrektheit und Vertrauenswürdigkeit, die ihre Vertreter ausstrahlten. Statements zur eigenen Persönlichkeit hätten im Geschäft nichts verloren.

Alles Irritierende vermeiden

Privatsache sei hingegen, was sich unter der Kleidung verstecken lässt. Diese Ansicht teilen laut Imas 72 Prozent der Bevölkerung. Und bei so manchem Anwalt schimmert ein Tattoo durchs Hemd, sobald er sein Sakko ablegt.

Ähnlich strikt ist immer noch die Meinung in Gastronomie und Hotellerie. Hier geht es nicht um Standesimage, sondern um die Befindlichkeit des Gastes.

McDonald's-Personalchefin Marion Maurer vermeidet stellvertretend für ihre Branche „alles, was den Gast irritieren könnte“. Für Bewerber mit Kunstwerken an Armen, Händen, Nacken und im Gesicht hätte sie nur Platz im Backoffice. Piercings müssen während der Arbeit entfernt werden. Was ihr zunehmend auffällt: „Gedehnte Ohrläppchen. Die werden immer mehr.“

Auch im gehobenen Verkauf sind „Peckerln“ nicht gern gesehen. Wiesenthal-Recruiterin Katharina Landl: „Mit Mercedes-Benz verkaufen wir ein Premiumprodukt. Bei Harley Davidson wäre das etwas anderes.“ Bei einem „unschuldigen Nasenstecker“ würde sie vielleicht beide Augen zudrücken, „aber sicher nicht bei einem Ring, wie ihn die Kühe tragen“.

„Na und? Es gibt Wichtigeres.“

So weit die Skeptiker. In den Konzernetagen zeigt man sich inzwischen konzilianter. Silvia Haselhuhn aus der Unilever-Personalleitung bezeichnet sich in dieser Frage als emotionslos: „Wir haben einen Senior-Manager mit großflächigen Tattoos an Armen und Händen. Na und? Es gibt Wichtigeres.“ Florens Eblinger, Chef der Personalberatung Eblinger & Partner, weiß um das polarisierende Potenzial dauerhafter Verschönerungen. Qualifizierte, aber permanent geschmückte Kandidaten würde er zwar nicht ablehnen, „aber wenn es für die Funktion ungewöhnlich ist, erwähnen wir es in unserem Kundenbericht“.

Reagiert die Wirtschaft auf den Trend in der jungen (und angeblich so begehrten) Zielgruppe? Eblinger wägt ab: „Es ist schon richtig, dass sie jungen Kandidaten nachjagt. Aber wie viele jagen denen nach, die sich bewusst anders geben?“

Das hängt dann wohl von der Firma ab. L'Oréal-Personaldirektor Steffen Küpper kann sich „gar nicht erlauben, solche Kriterien anzulegen. Uns interessieren Talent, Potenzial und Leistung.“ Als Ausdruck der Vielfalt seien „bunte Leute“ auf jeder Ebene willkommen: „Ich maße mir nicht an, eine Persönlichkeit zu bewerten.“

In Anwalts- oder Wirtschaftskanzleien sind sichtbare Tätowierungen und Piercings aus Imagegründen nach wie vor verpönt; in Gastronomie und Hotel- lerie ebenfalls, um den Gast nicht zu irritieren. Was sich unter der Kleidung verstecken lässt, wird toleriert. In den Konzernetagen gibt man sich gelassener. Mit dem Argument der Vielfalt im Betrieb ist Körperschmuck auch in gehobenen Ebenen kein Thema.
(Andrea Lehky)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2014)

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