Schlierenzauer: "ÖSV-Material ist nicht up to date"

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Gregor Schlierenzauer übt sich nicht länger in Diplomatie. Der Tiroler kritisiert lautstark den Stillstand im Adlerteam rund um Trainer Alexander Pointner.

Krasnaja Poljana. Es war weit nach Mitternacht, das Springen von der Großschanze längst vorbei und seine Sieger auf den Schultern der Teamkollegen davongetragen. Der Pole Kamil Stoch hatte zweites Einzelgold gewonnen und sich zum dritten Doppel-Olympia-Sieger im Skispringen nach Matti Nykänen (1988) und Simon Ammann (2002, 2010) gekürt. Dem Japaner Noriaki Kasai fehlte nur ein Hauch auf Gold, doch Silber ist für den 41-Jährigen, seit 1988 im Weltcup unterwegs, eine Sensation.

Gregor Schlierenzauer nahm es besonnen auf, dass sein Traum geplatzt ist. Thomas Diethart und Michael Hayböck schilderten artig ihre Eindrücke. Erfolg aber haben andere, wieder einmal, wie schon so oft in dieser Saison. Thomas Morgenstern war kleinlaut. Der Wind hatte ihn geplagt und mit Sicherheit Erinnerungen an den Sturz auf dem Kulm geweckt. Es zeigte, dass es mehr als nur ein grenzwertiges Experiment ist, ihn mit nach Sotschi genommen zu haben. Olympia kommt für ihn, vor allem auf der Großschanze, zu früh. Das sieht der 27-Jährige sogar selbst so, er sagt: „Für mich sind die Spiele vielleicht eine Woche zu früh gekommen, ja. Wie es wirklich in mir drinnen ausschaut, will ich jetzt nicht sagen.“

Vettel und Schlierenzauers Ski

Es mutet selbstherrlich an, wenn Skispringer nach Enttäuschungen dem Wind, der Jury oder dem Trainer die Schuld geben. Schlierenzauer tat es, sogar mit dem Wissen, „dass man mich als schlechten Verlierer hinstellen wird“. Er blieb aber bei seiner Meinung: Er verstehe seine Sportart nicht mehr und übte Kritik am Weltverband FIS. Die ewig wechselnden Gates, Anlauflängen und Windpunkte – da kenne sich keiner mehr aus. Und immer dann, wenn der Gewinner von 52 Weltcupbewerben springen soll, ändere sich der Anlauf. Schlierenzauer meint, das sei „gesteuert“. Namen, Motive oder Beweise dafür nannte er nicht.

Es wirkte wie die Reaktion eines beleidigten Kindes, doch es war kein Trotz – es war Kalkül. Der 24-Jährige holte zum Tiefschlag gegen gleich mehrere Seiten aus, er bleibt damit weiter auf Kollisionskurs. „Skispringen wird wieder zu einem gefährlichen Sport. Die Sprungtechnik hat sich verändert, jeder spielt mit der schnellen Verbindung zum Ski, dem extremen Absprung. Und der ÖSV ist, was Technik und Material betrifft, sicher nicht up to date. Das ist ungefähr so, als würde Vettel alles geben und ein Sch... auto haben.“

Es sind Machtspiele, persönliche Befindlichkeiten, die jahrelang aufgestaut wurden und nun ob des Misserfolges explodieren. Das Band, da können alle ÖSV-Vertreter noch so um Kalmierung bemüht sein, zwischen Star und Cheftrainer ist gerissen. Nur eines von vielen Indizien dafür ist, dass Schlierenzauers Heimtrainer Markus Maurberger fünf Tage vor dem Abflug aus dem Sotschi-Team „radiert“ wurde. Details dazu sickerten sukzessive durch. Maurberger hatte eine Akkreditierung, russische SIM-Card, Zimmer waren bestellt. Wäre Schlierenzauer vor den Augen des Vertrauensmannes besser gesprungen? Wohl kaum.

Cheftrainer Alexander Pointner, der die „journalistische Kunst“ anprangerte, seine Aussagen zu verzerren, steht schwer in der Kritik. Der Erfolgstrainer, seit 2004 im Amt, ist um Antworten bemüht. Schlierenzauer hingegen scheut den offenen Konflikt nicht mehr. Sein seit drei Jahren forcierter Wunsch nach Materialfortschritten ließ ihn auch eigene Wege gehen, Pointner helfe ihm nicht mehr weiter. Er sagt: „Ich habe trainiert, versucht, mich weiterzuentwickeln. Alles andere ist Leitbild des Trainers. Da muss man den Hebel ansetzen. Skispringen hat sich in die andere Richtung entwickelt.“

Über Nacht verlernt man das Skispringen nicht, die Oberhand geht verloren, wenn Reize und Innovationen ausbleiben. Die Alarmglocken schrillten bei der WM in Val di Fiemme 2013, doch Gold im Teambewerb kaschierte das Problem. Ob das heute zu wiederholen ist, ist zweifelhaft. Es ist das Ende einer Erfolgsserie, die 2006 mit Gold durch Morgenstern in Turin begonnen hat und vermutlich im Zorn in Sotschi acht Jahre später endet. Schlierenzauer: „Ich warte ab, was dann passieren wird...“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2014)

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