Jetzt schlägt die Stunde der Märchenerzähler

Das Filzsystem der Zweiten Republik bröckelt nicht, im Gegenteil: In Werner Faymann und Michael Spindelegger ist es eigentlich erst zu sich gekommen.

Langsam setzt sich in der öffentlichen Diskussion über Ursachen und Folgen des Hypo-Desasters offensichtlich der Narrativ durch, dass wir Steuerbürger für die Milliarden, die uns die Übernahme der Haider-Erbschaft kosten wird, auch etwas bekommen könnten: eine grundlegenden Reform jenes zu Filz, Intransparenz und struktureller Korruption neigenden Institutionengefüges, das wir Zweite Republik nennen.

Es wäre ja wirklich eine hübsche List der Geschichte, wenn die „Dritte Republik“, von der Jörg Haider in der Gestalt einer postmodernen Variante des Wörthersee-Bonapartismus geträumt hat, nicht als autoritäre Übertreibung, sondern als bürgerliche Rückeroberung der öffentlichen Angelegenheiten Gestalt annähme.

So jedenfalls reden wir uns derzeit das verheerende Bild schön, das die HAA-Geschichte von der politökonomischen Wirklichkeit dieses Landes zeichnet: Die teuren Spätfolgen jenes Wahnsinns, den Haider entfachte, nachdem er sich entschlossen hatte, die Schwächen der „Zweiten Republik“ nicht im Interesse der Allgemeinheit zu beheben, sondern zum eigenen Nutzen und zur Alimentierung seiner dummdreisten Entourage auszuweiden, könnten uns jetzt weiterbringen.

Das ist eine sehr liebe Idee. Sie beantwortet allerdings nicht die Frage, wie denn die damit verbundenen Reformen – Abschaffung des Operettenföderalismus, Säkularisierung der Kammern, Rückbau der Parteienallmacht – umgesetzt werden sollen. In einem Rechtsstaat kommt man um die Notwendigkeit nicht herum, dem späten Übergang vom kammerautoritären Ständestaat zur parlamentarischen Demokratie eine gesetzliche Grundlage zu geben.

Das wiederum würde bedeuten, dass man die 183 Abgeordneten des österreichischen Nationalrates, deren absolute Mehrheit in ihrer politischen und materiellen Existenz genau von diesen vordemokratischen Strukturen und Institutionen abhängig ist, freundlich zur Selbstabschaffung auffordert. Wir sollten nicht damit rechnen, dass sie der Aufforderung Folge leisten. Ein illusionsloser Blick auf die gegenwärtige Situation zeigt nicht das Bröckeln, sondern die größtmögliche Entfaltung der Machtmechanik der Zweiten Republik.

Man könnte sogar sagen, dass sie in den Personen von Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger, zwei charismafreien Hinterbänklernaturen, die nicht durch inhaltliche Ambitionen von der Bedienung der politischen Apparaturen abgelenkt sind, recht eigentlich erst zu sich gekommen ist: Hier die leicht chinesisch-staatskapitalistisch anmutende Art vor allem der Wiener SPÖ, alle Lebensbereiche mit einer Netzwerkstruktur aus Unternehmen und Funktionären zu überziehen, die von der und für die Partei leben; dort die alte Tradition der Volkspartei, die Zugehörigkeit zu den aktuellen Macht- und Informationsstrukturen über Bünde und parapolitische Strukturen zu organisieren, die dem Filz und der Korruption den Anstrich des altehrwürdig Bildungsbürgerlichen verleihen.

Es gibt in den beiden aktuellen Regierungsparteien niemanden, der willens und/oder fähig wäre, an diesen Strukturen etwas zu ändern. Selbst wenn nach den nächsten Wahlen mangels absoluter Mandatsmehrheit für ÖVP und SPÖ neue Konstellationen möglich oder notwendig würden, bedeutet das nicht, dass mit strukturellen Änderungen zu rechnen wäre. Aus unterschiedlichen Motiven zwar, aber eben doch würde wohl jede der Oppositionsparteien, die dann an einer Regierung beteiligt wäre, die bestehenden Strukturen lieber für die Durchsetzung der eigenen Anliegen nutzen, als die Entscheidung über die Angelegenheiten des Einzelnen, der Kommunen und des Staatsganzen wieder stärker den Bürgern zu überlassen.

Nehmen wir die Reformfantasien als das, was Märchen und Sagen immer schon waren: erzählerische Parallelwelten, die uns das Ertragen der schnöden Realität erleichtern.

E-Mails an:office@michaelfleischhacker.at

Zum Autor:

Michael Fleischhacker (*1969) arbeitete als
Journalist bei der
„Kleinen Zeitung“
und beim „Standard“, ab 2002 bei der „Presse“.
Von 2004 bis 2012 war er Chefredakteur der „Presse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2014)

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