Über den Sprung auf den Bildschirm

 Claudia Dannhauser
Claudia Dannhauser(c) Clemens Fabry/ Die Presse
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Was sich beim Wechsel einer Printjournalistin in die »ZiB«-Redaktion alles ändert. Ein Bericht ist ein Bericht? Würde man meinen. Nicht ganz. Eine Dimension kommt dazu: die Kamera.

Fern sehen: Es ist vieldeutig, das bewusste Wortspiel dieser Ausgabe. Und es passt auch für meinen Part. Nicht nur, weil das ORF-Zentrum auf einem Hügel im Westen Wiens steht. Diese Distanz zur Stadt, diese Abgeschiedenheit – sie war für mich einer der ersten großen Unterschiede beim Wechsel von der „Presse“ zum ORF. Nicht der einzige freilich. Aber es ist schon eigenartig, in einer Zeit auf das Auto angewiesen zu sein, in der man innerstädtisch quer durch alle Bevölkerungsschichten öffentlich unterwegs und dabei schneller ist.

Distanz also. Sie ist nicht nur bei der Anreise spürbar. Auch bei den Interviewpartnern ist da plötzlich eine fast verschämte Reserviertheit. Warum? Es ist ja nicht so, dass „Presse“-Journalisten eine besondere, gar amikale Nähe zu Politikern oder wem auch immer sonst pflegen würden. Nein, es ist der Umgang, sind die Umstände, die Journalismus in Print und Fernsehen oft grundsätzlich unterscheiden. Für ein langes Zeitungsinterview, da nimmt man sich Zeit, eine Stunde meist, auch mehr. Und man ist, was den Termin anlangt, selten spontan, höchstens, man begnügt sich mit einer kurzen Befragung am Telefon. Oft ist das Treffen aber lange vorher ausgemacht.

Ganz anders beim Fernsehen: Wird für einen „ZiB“-Beitrag ein aktuelles Statement gebraucht, muss es schnell gehen. Und die Antwort? Sie sollte prägnant und knackig sein, wenn's geht. Da sind beide gefordert: Fragesteller und Antwortgeber. Der Journalist, indem er sich bei den Fragen zurückhält, nichts vorwegnimmt und ausformulierte Antworten zulässt. Gar nicht so einfach, sich nach Recherche und Vorgespräch noch einmal unwissend zu stellen. Das irritiert ungeübte Gesprächspartner zuweilen. Die Frage bleibt schließlich im Beitrag ungehört. Es ist die Antwort, die vieles erklären muss, die einen Teil der Geschichte erzählen soll. Nicht die einzige Herausforderung für den Interviewpartner: Er muss komplizierte Themen so auf den Punkt bringen, dass sie in 15 bis 20Sekunden O-Ton (Originalton) einen sinnvollen Satz ergeben. Das ist nicht einfach. Das schafft nicht jeder. Selbst unzählige Versuche fruchten zuweilen nicht. Leider.


Keine Wortklaubereien mehr. Es ist wohl einer der Gründe, warum sich Politiker manchmal zieren, ins Fernsehen zu gehen. Ein anderer: In einer Zeitung wird ein Versuchsballon viel lieber, weil weit gefahrloser platziert als vor dem Millionenpublikum der „ZiB“. Zumindest sehen das manche Pressesprecher so. Schau ma mal, wie das ankommt, so das Kalkül. Ist die Reaktion, die ein Statement auslöst, okay, dann kann man es noch immer weiter pushen. Aber keine Angst: Das größere Publikum, das lockt doch immer wieder vor die Kamera – vor Eitelkeit ist eben niemand gefeit.

Und dann gibt es noch einen ganz großen Vorteil beim Fernsehinterview – zumindest aus Sicht des Journalisten. Was liegt, das pickt da nämlich wirklich. Und was einmal im Kasten ist, das holt einem keiner mehr aus der Kamera heraus. Beim geschriebenen Gespräch ist das mittlerweile ja ganz anders. Denn seit einigen Jahren wird es erst gedruckt, wenn der Sanctus des Interviewten oder seines Bevollmächtigten vorliegt. Was hab ich mich über diese mühseligen Autorisierungen geärgert und über Wortklaubereien mit Pressesprechern, die trotz Tonbandprotokolls und eindeutig gelieferter Äußerungen auf Änderungen beharrten. Nur weil das angeblich so ungerecht aus dem Zusammenhang gerissen worden sei.


Vom reinen Beobachter zum Akteur. Doch zurück zur Ferne im Fernsehen. Diese Distanz also, das ist oft nur Kameraangst. Ist diese einmal überwunden, spielt so mancher ganz gern damit. Ein Phänomen, das man auch selbst durchlebt, wechselt man als Journalist die Seiten. Jetzt bin ich nicht mehr bloß Beobachter, kein reiner Beschreiber der Lage. Jetzt bin ich oft selbst Akteur. Im Hintergrund zuhören und für eine Reportage bewerten, das geht nicht mehr. Nur vorne an der Front, da gibt es die Bilder und die Statements.

Auch das Einzelkämpferdasein ist Geschichte. Jetzt bin ich Teamspieler. Kein Beitrag ohne Kameramann, keiner ohne Tonassistent und schon gar keiner ohne Cutter – und das sind nur die Allernächsten, mit denen man zu tun hat. Das Finish der Arbeit, es findet nicht einsam vor dem Computer, sondern zu zweit im Schneideraum statt. Der Aufwand ist enorm, weit größer als am Anfang gedacht. Die Fülle der Bilder, die schon für kurze Beiträge gebraucht werden, ist nicht zu unterschätzen. Spätestens dann, wenn der Cutter nach dem Schneiden der ersten dreißig Sekunden eines Beitrags mit kritischem Unterton nachfragt, welche Bilder man sich für die nächsten fünfzig überlegt hat, wird klar: Es kann gar nie genug gedreht und nie genug im Archiv bestellt werden. Denn die Bilder, sie entstehen nun nicht mehr nur im Kopf. Die Bilder, die der Schreiber vor sich hat und die im Idealfall genauso beim Leser wieder entstehen, sie brauchen nun eine eigene Realität. Eine Fernsehbild-Realität. Man muss sie quasi sehen, bevor sie gedreht werden. Sieht man sie nicht oder nicht rechtzeitig, dann ist es schon zu spät.

Beim Schneiden kommt als nicht unwesentliches Element die Stimme dazu, die eigene. Und die klingt durchs Mikrofon anfangs ungewohnt. Dank geduldiger Trainer passt bald die Atmung, Betonung, der Rhythmus.

Eine weitere Dimension erschließt sich, wenn hinter der Kamera plötzlich vor der Kamera wird: der Live-Einstieg. Ein adrenalinträchtiges Element, zumindest die ersten Male. Es ist ein ungewohntes Gefühl, einem schwarzen Loch zu sagen, was man gerade erst erlebt hat, was man alles über die neuesten Entwicklungen weiß, wie man die weiteren Geschehnisse einschätzt.Und dabei den fragenden Moderator bloß im Ohr und das Publikum im Kopf zu haben. Und doch ist es eine Spannung, die durchaus süchtig macht. Es ist so unmittelbar, so direkt, so hautnah am Geschehen. Aus Distanz wird da eine ganz neue Nähe. Denn eigentlich ist Fern-Sehen doch eine ganz nahe Sicht der Dinge.

Zur Person

Claudia Dannhauser (*1966 in Bruck/Mur) studierte Publizistik/Kommunikationswissenschaft und Kunstgeschichte an der Uni Wien.

Ab 1986
war sie Redakteurin der „Presse“ – zunächst in der Chronik, ab 1998 als innenpolitische Redakteurin. 2010 bis 2011 war sie
für Europapolitik zuständig.

Seit September 2011 ist Dannhauser innenpolitische Redakteurin der „ZiB“ im ORF.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2014)

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