Verfreundet wie wir

(c) Clemens Fabry/ Die Presse
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Einst haben die Zeitungen mit dem Rundfunkvolksbegehren den Grundstein für einen unabhängigen ORF gelegt. Heute wird das Miteinander der Medien zwar in Sonntagsreden propagiert, im Zweifel geht es aber immer gegen den ORF.

Jetzt haben wir also die Kanäle getauscht. ORF goes Print. „Die Presse“ goes Rundfunk. Ein Leuchtturmprojekt des crossmedialen Zeitalters, in das wir alle hineingeworfen sind? Schöner Gedanke, aber die Erklärung ist banaler – und sie trifft den Kern der österreichischen Medienrealität.

ORF sells. Die besten Geschichten für die Medienseiten der Qualitätszeitungen und für so manches Boulevardstück liefert immer noch das größte Medienunternehmen des Landes. Der ORF mit einem Umsatzvolumen von nicht ganz einer Milliarde Euro ist für österreichische Begriffe ein wirklicher Big Player. Wenn da die x-te Staffel des Kaufformats „Dancing Stars“ vom Stapel läuft, dann rauscht es im Blätterwald. Da kommen dann auch die Profitänzer vor, die in der Sendung nicht mehr vorkommen und offenbar glauben, einen Rechtsanspruch auf Auftritte im ORF-Fernsehen erworben zu haben. Deswegen hauen sie dann auf den ORF hin.

Wobei sie inhaltlich vielleicht sogar recht haben. Das Wetttanzen hatte schon einmal mehr Pep, die Promis sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Aber immerhin gibt es eine Konstante: Der ORF nominiert regelmäßig Bildschirmprominenz aus dem eigenen Haus für den Ballroom. Darüber rümpfen auch viele die Nase, nur: Die „Presse am Sonntag“ macht es heute nicht anders. ORF-Promis füllen die Seiten der Jubiläumsausgabe, und das ist legitimes Kalkül. Die Zeitung will ja gelesen werden. (Schreibt einer, der beim Radio arbeitet und nicht zum Kreis dieser Promis zählt.)


800.000 Unterschriften. Das vorliegende Printprodukt ist daher in einem gewissen Sinn die Papier gewordene Verfreundung zwischen dem öffentlich-rechtlichen ORF und den anderen traditionellen Medienhäusern. Eine Art Hassliebe, die über seichten Starkult hinausgeht – und sie reicht weit zurück. Vor genau 50 Jahren, 1964, hat der damalige „Kurier“-Chefredakteur Hugo Portisch das Rundfunkvolksbegehren initiiert, andere Zeitungen haben es unterstützt, und mehr als 800.000 Österreicher haben es unterschrieben. Der ORF wurde damit aus den Klauen der großkoalitionären Parteipolitik befreit. Der Grundstein für einen unabhängigen ORF war gelegt.

ORF wie wir? Das war einmal. Damals. Heute klingt der Slogan der öffentlich-rechtlichen Imagekampagne wie ein Hilferuf, den keiner so richtig versteht. Natürlich weiß sich der ORF ganz gut selbst zu helfen. Die Geschäftsführung hat das Unternehmen durch einen rigiden Sparkurs auf eine solide Basis gestellt, die Belegschaft hat ihren Teil dazu beigetragen. Weniger Leute machen mehr Programm. Prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Haus nehmen zu. Doch das ist sicher kein Public Value, wenn Sparvorgaben auf dem Rücken der Schwächsten durchgezogen werden.


Das ZDF ist den Juristen zu staatsnah. Der Aufschrei bleibt aber aus. Sparen ist eben voll angesagt. Medienpolitik ist hierzulande ein Fremdwort. Der Medienminister ist mit unschönen Künsten und anderen Dingen schwer beschäftigt, er darf nicht gestört werden. Immerhin hat er zwischendurch doch noch Zeit gefunden, mit dem Koalitionspartner neue Regeln für die Beschickung des ORF-Stiftungsrates auszuschnapsen. Nicht zum Nachteil seiner eigenen Partei.

Und das am Tag, als das deutsche Bundesverfassungsgericht in einem bemerkenswerten Urteil festgestellt hat, dass die Gremien des öffentlich-rechtlichen ZDF zu stark politisiert seien. Zu staatsnah, wie die Juristen sagen. Hier noch ein wichtiger Satz aus dem Urteil: „Vertreter der Exekutive dürfen auf die Auswahl der staatsfernen Mitglieder keinen bestimmenden Einfluss haben.“ Bei uns werden die ORF-Gremien demnächst neu bestellt. Ob staatsnahe oder staatsferne Mitglieder – unsere Regierung hat dabei den alles bestimmenden Einfluss.

Auf den Medienseiten der Zeitungen wird das in den kommenden Wochen ausgiebig gewürdigt, sprich: kritisiert werden. Hängen bleiben wird es wieder am ORF. Dem Staatsfunk. Dem Rotfunk. Dem Was-weiß-ich-Funk. Impliziert so oder so, dass es nicht weit her sein kann mit der Unabhängigkeit. Dabei kämpfen wir, die ORF-Journalisten, längst sehr effizient für diese Unabhängigkeit. Wir lassen uns nichts gefallen. Die Beispiele sind bekannt. Stoff, aus dem gute ORF-Geschichten sind. Die für die Glaubwürdigkeit der Redaktionen gut sind, aber weniger gut für das Image des Unternehmens ORF. Ein medialer Teufelskreis.

Das Miteinander funktioniert maximal bei Jubiläumsprojekten wie diesem und in Sonntagsreden, in denen der Schulterschluss gegen die globalen Mediengiganten propagiert wird. In den Niederungen des Alltags werden absurde Onlinebeschränkungen für den öffentlich-rechtlichen Mitbewerber so lange wie möglich durchjudiziert. Facebook-Verbot – was für ein Wort in einer Zeit des digitalen Umsturzes. Moderne gesetzliche Regelungen sind ohne das Wohlwollen der Zeitungen nicht durchsetzbar, und die verfolgen im Netz ihre eigenen, noch sehr unbestimmten Interessen. Nach dem Motto: Wir wissen alle noch nicht wirklich, wo wir hinwollen – aber wir müssen jedenfalls schneller dort sein als der ORF.


Champions-League-Verbot per Gesetz?Der Verband Österreichischer Privatsender, kurz VÖP genannt, nimmt den öffentlich-rechtlichen Platzhirsch von der anderen Seite her in die Zange. Ob es um die öffentlich-rechtlichen Qualitäten von Ö3 geht – der Radiosender Kronehit, ein VÖP-Mitglied, zieht gegen den mächtigen Konkurrenten vor Gericht...bisher nicht erfolgreich. Oder ob es um die Rechte für die Übertragung der Champions League geht, die der ORF dem Mitbewerber Puls4 wieder weggeschnappt hat – der VÖP ist gleich mit dem Totschlagargument zur Stelle, der ORF möge sich doch bitte um die Randsportarten kümmern, statt teure Lizenzen zu erwerben. Vielleicht ein Champions-League-Verbot ins ORF-Gesetz? Noch ist es ja niemandem eingefallen.

Hinter den Kulissen laufen die Fäden zwischen Privatsendern und Zeitungen ohnehin zusammen. Der erfolgreichste private Radiosender Kronehit gehört je zur Hälfte der „Kronen Zeitung“ und dem „Kurier“. Die „Kronen Zeitung“ hält auch 50 Prozent an der IPA, das ist die Vermarktungsgesellschaft des europäischen Medienriesen RTL in Österreich. Der „Kurier“-Mehrheitseigentümer Raiffeisen hält wiederum über seine Medicur-Holding einen 24,5-Prozent-Anteil am Österreich-Ableger des deutschen Medienkonzerns ProSiebenSat1, weitere 24,5 Prozent an Sat1 Österreich hält die Styria-Gruppe – zu der „Die Presse“, das „Wirtschaftsblatt“ und die „Kleine Zeitung“ gehören. Von den Zeitungsbeteiligungen an vielen regionalen Radiosendern gar nicht zu reden.


Der Kunde ist König. Vielfältige Interessen also in einer allzu verfreundeten Medienlandschaft. Und im Zweifel geht es immer gegen den zu zwei Dritteln über Gebühren finanzierten ORF. Der kann seine Sache zwar nicht so schlecht machen, weil die Marktanteile immer noch sehr ansehnlich sind. Die Gebührenzahler schauen also ORF-Fernsehen und hören ORF-Radio und nehmen auch die neuen Onlineangebote an. Aber wehe, wenn der ORF die Übertragungsrechte für die Eröffnungs- und Schlussfeier der Putin-Spiele in Sotschi nicht kauft und dem Mitbewerber ATV überlässt (und dem bei einer technischen Panne während der Eröffnung auch noch mit dem HD-Signal aushilft) – dann hagelt es Proteste aus dem Publikum auf den Leserbriefseiten der Zeitungen und an den Servicetelefonen im Haus. So etwas müssen wir aushalten, der Kunde ist König.

Aber die verbreitete Unzufriedenheit mit dem öffentlich-rechtlichen Sender zeigt eben auch, dass der ORF ein Imageproblem hat, das eine Werbekampagne nicht beseitigen kann. Es fängt beim Geld an, wenn Unternehmen gesetzliche Gebührenbefreiungen nicht ersetzt werden und auch sonst völlige Intransparenz herrscht. Zwischen 25,18 Euro in der Steiermark und 19,78 Euro in Vorarlberg beträgt die Gebühr im Monat, der ORF bekommt davon da wie dort nur 16,16 Euro. Der Rest geht in die Steuertöpfe des Bundes und – in sehr unterschiedlicher Höhe – der Länder. Das ist aber ebenso wie die völlig anachronistische Mitwirkung der Landeshauptleute bei der Bestellung der ORF-Landesdirektoren politisch kein Thema.


Die Medien sitzen alle in einem Boot. Die Mediensprecher der Regierungsparteien haben Angst, sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen – und tun daher lieber gar nichts. Die Mediensprecher der Oppositionsparteien vertreten Konzepte von unterschiedlicher Güte und haben zum Teil ja auch nur im Auge, wie sie selbst zu mehr Einfluss auf die Berichterstattung kommen könnten. Derweil gehen die Umwälzungen in der Medienwelt weiter, unkommentiert von der abwesenden Medienpolitik. Und wir sitzen mehr denn je alle in einem Boot.

ORF wie wir? Medien wie wir.

Zur Person

Stefan Kappacher (*1962 in Hall in Tirol) studierte Politikwissenschaft und Publizistik in Wien. Er arbeitete in der Wiener Redaktion der „Tiroler Tageszeitung“ und war später deren Innenpolitik-Chef.

2002
Wechsel in die ORF-Radio-Innenpolitik. 2006 ging Kappacher zum ORF-Fernsehen, Ressort Innenpolitik.Ab 2007 war er im „ZiB2“-Team. Seit Oktober 2008 ist Kappacher wieder Redakteur der Radio-Innenpolitik. Derzeit erarbeitet er das neue Ö1-Medienmagazin.
ORF

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2014)

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