»Ich hatte den Eindruck, jetzt drehen alle durch«

Christoph Varga, Josef Urschitz, Josef Kalina
Christoph Varga, Josef Urschitz, Josef Kalina(c) Clemens Fabry/ Die Presse
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Wie geht es dem Wirtschaftsjournalismus im Spannungsfeld zwischen Bad Bank und Bad News?ORF-Wirtschaftschef Christoph Varga und »Presse«-Kolumnist Josef Urschitz diskutierten.

Wozu braucht man überhaupt Wirtschaftsjournalismus? Für wen senden bzw. schreiben Sie?

Josef Urschitz: Nachdem jedes Handeln in der Wirtschaft oder in der Wirtschaftspolitik Auswirkungen auf den Staatsbürger hat – siehe Hypo Alpe Adria –, sollte Wirtschaft jeden interessieren. Ich habe in meiner doch relativ langen Zeit als Wirtschaftsjournalist bemerkt, dass sich das Interesse sehr stark erhöht hat. In meinen Kommentaren versuche ich, die Welt für wirtschaftlich interessierte Leser darzustellen. Den vielen Rückmeldungen zufolge dürfte das gelingen.

Christoph Varga: Wirtschaftsjournalismus heißt erklären, erklären, erklären. Die Leute interessieren sich nicht von vornherein für wirtschaftliche Themen, aber ich stimme zu: Das hat sich stark geändert. Der Taxler redet mich an, die Sprechstundenhilfe redet mich an und will wissen, warum die Wirtschaftskrise ausgebrochen ist. Es überrascht mich aber, dass Herr Urschitz von so vielen Leserreaktionen berichtet. Wir berichten in der „ZiB“, haben in guten Zeiten 1,2 Millionen Zuschauer, kriegen maximal zwei, drei Mails.

Urschitz: Ich bekomme einige hundert Reaktionen, wenn es ein sehr kontroversielles Thema ist.

Varga: Das habe ich nur, wenn ich über den Flughafen und über die dritte Piste berichte. Da kommen die Lobbys.

Auch im Fall Hypo sind viele Lobbys involviert. Ist die Hypo ein politisches oder ein wirtschaftliches Thema?

Urschitz: Das ist ein wirtschaftliches Thema, ein politisches Thema und ein Kriminalfall.
Varga: Mich hat zu Beginn der jüngsten Hypo-Entwicklung diese Aggression in der Berichterstattung sehr befremdet – sie war gerade bei Ihnen zu spüren, Herr Urschitz. Und sie hat auf andere Medien übergegriffen. Ich hatte den Eindruck, jetzt drehen alle durch. Plötzlich rückt sogar der Grüne Werner Kogler die Regierung in die Nähe einer Mafiaorganisation. Da sind doch die Dimensionen verloren gegangen. Die Inhalte haben uns ja nicht überrascht. Sie haben gewusst, wie wir alle, wie groß die Zahl sein wird. Sie haben in Kommentaren lang zuvor verlangt, dass es eine Bad Bank geben soll. Jetzt hat das die Taskforce vorgeschlagen, und plötzlich gab es eine enorme Empörung. Die konnte ich nicht nachvollziehen. Wenn von „Bullshit“, „Dilettanten“, „Verbrecherbande“ die Rede ist, sind wir ganz schnell bei demokratiepolitischen Problemen. Da müssen wir Journalisten aufpassen.
Urschitz: Ich möchte nur klarstellen, dass Ausdrücke wie „Mafiaorganisation“, die in der politischen Diskussion gefallen sind, bei mir nicht vorgekommen sind. Ich würde das Ganze auch nicht Aggression nennen, sondern Direktheit. Sagen, was Sache ist. Dinge auf den Punkt bringen. Diese Aggression, die Sie angesprochen haben, war schon latent in der Bevölkerung vorhanden. Das hat sicher mit politischen Versäumnissen zu tun. Sie können als Medium nicht Aggression erzeugen, sondern nur verstärken oder abschwächen. Wir als Wirtschaftsjournalisten haben uns ständig mit diesem Thema befasst, wir haben die Zahlen gekannt. Der Öffentlichkeit war das zu überwiegenden Teilen nicht bewusst. Sie ist von der Politik lange beschwichtigt worden. Die Menschen haben ein Bedürfnis zu erfahren, wie die Dinge wirklich liegen. Das habe ich versucht zu vermitteln. Ob sich das Ganze am Ende auch so darstellen wird, werden wir sehen. Ich habe mir aber schon oft als Staatsbürger gewünscht, dass ich nicht so oft als Journalist recht behalten hätte. Und ich fürchte, auch am Ende der Causa Hypo wird das so sein.

Ist man als Wirtschaftsjournalist selbst Akteur? Oder ist man nur neutraler Beobachter auf der Tribüne?

Urschitz: Ich finde, man sollte nicht Akteur sein. Man ist es indirekt ohnehin. Aber man sollte hinter die Kulissen blicken. Und da können halt auch dann Meinungen herauskommen, die nicht regierungskonform sind.

Varga: Gott sei Dank sind wir keine Akteure. In der Eurokrise haben die Politiker glücklicherweise nicht das gemacht, was Journalisten ihnen vorgeschlagen haben, sonst wäre das Ganze schon den Bach hinuntergegangen. Ich denke etwa an Vorschläge zu einer Zerschlagung der Währungszone, zu einer Rückkehr zu nationalen Währungen. Bei der Hypo, glaube ich, haben wir Journalisten uns nichts vorzuwerfen. Natürlich ist der ORF auch kein Kommentator. Der ORF darf nicht Partei ergreifen. Das ist vollkommen klar. Immer dann, wenn Journalisten versuchen, Politik zu machen, geht das schief.

Sind Wirtschaftsjournalisten gute Schreiber, die sich ihr Wissen nebenbei aneignen, oder sind das Leute mit Wirtschaftserfahrung, die den Journalismus erlernen?

Varga: Da ärgert mich schon die Frage! Sie kommt immer nur bei der Wirtschaft. Kein Mensch fragt einen Kulturredakteur, ob er ausgebildeter Opernsänger ist. Kein Mensch fragt einen Politikredakteur, ob er Erfahrung als Politiker hat. Nur bei der Wirtschaft wird vorausgesetzt, dass man wirtschaftlicher Akteur sein soll, dass man Betriebswirtschaft studiert usw. In unserer Redaktion im ORF gibt es beides. Journalismus ist ein ernsthaftes Handwerk, das man lernen muss und das auch nicht jeder kann.

Urschitz: Ich glaube aber, dass im Wirtschaftsjournalismus ein bestimmter Wissensgrundstock vorhanden sein sollte. Eine Bilanzpressekonferenz ist keine Opernaufführung. Da geht es mehr um Fakten und weniger um Eindrücke. Ich sehe das Problem auf einer anderen Ebene. In dem Ausmaß, in dem Redaktionen aus wirtschaftlichen Gründen personell ausgedünnt werden, werden PR-Abteilungen aufgebaut.

Varga: Auf einen Journalisten kommen acht Pressesprecher.

Urschitz: Und ich habe irgendwo gehört, dass 80 bis 90 Prozent der Wirtschaftsartikel, die in Zeitungen erscheinen, ihren Ursprung in PR-Abteilungen haben. Das ist ein Problem.

Jetzt bin ich als PR-Mensch angesprochen, jetzt schlüpfe ich kurz aus der Moderatorenrolle. Ich habe mich immer als verlängerte Werkbank der Journalisten definiert. Ich vertrete meinen Kunden, der mich bezahlt. Das ist ja klar. Ihr müsst dann prüfen, ob da noch etwas anderes dazugehört. Aber wir liefern wahrheitsgemäße Informationen für den Kunden. Und da sind wir gleich bei einer interessanten Frage: Die Politik sucht die Medien, die Kultur sucht die Medien, der Sport sucht die Medien. Sie alle brauchen Wähler, Zuschauer, Sponsoren. Die Wirtschaft sucht den Journalismus nicht. Wirtschaft findet den Zugang zu Kunden über Marketing, Werbung und PR. Unterscheidet sich Wirtschaftsjournalismus vom übrigen Journalismus?

Varga: Die Banken wollen nur vorkommen mit: Wir haben die höchsten Sparzinsen und die niedrigsten Kreditzinsen. Unternehmer wollen in der Regel nicht in den Schlagzeilen stehen. Von der journalistischen Vorgangsweise sehe ich dennoch keinen Unterschied: Die Fakten kritisch zu prüfen, gut informiert zu sein, das trifft auf alle Ressorts zu, egal, ob das Politik ist, Chronik, Wirtschaft, Sport oder Kultur.
Urschitz: Trotzdem ist Selbstkritik angebracht. Leider setzen manche Kollegen dieser PR-Maschinerie zu wenig Widerstand entgegen. Wenn einer zu einer Bilanzpressekonferenz geht, und dort wird ihm nicht die Bilanz ausgehändigt, sondern ein Waschzettel, auf dem nur die genehmen Zahlen stehen, dann müsste er aufstehen und sagen: „Auf Wiederschau'n, das war wohl nichts.“

Was unterscheidet guten von schlechtem Wirtschaftsjournalismus?

Urschitz: Guter Wirtschaftsjournalismus lässt sich nicht beeinflussen. Er leuchtet Hintergründe aus, und zwar in einer Sprache, die verständlich ist.

Varga: Das sehe ich ganz genauso. Dinge einfach darstellen und möglichst auf den Punkt bringen. Etliche Analysen von Herrn Urschitz – das ist guter Wirtschaftsjournalismus. Sie sind der Doyen unserer Branche. Man muss sich in der ORF-Redaktionssitzung erklären, „hast den Urschitz schon gelesen, wie siehst du das?“ Ich gestehe, manchmal geht mir das auch auf die Nerven.

Weil er kommentieren darf und Sie nicht?

Varga: Ja, weil man sich dann dagegen positionieren muss. Wir dürfen eben nicht kommentieren.

Wann wird über die Hypo in der Innenpolitik, wann in der Wirtschaft berichtet?

Varga: Wenn es kompliziert wird, dann dürfen wir. Der Konflikt, die Streitereien, die sendet die Innenpolitik. Und – offen gestanden – ich bin da ganz froh darüber.

Urschitz: Wir haben da offensichtlich kleinere Probleme, weil wir eine kleinere Redaktion sind, aber im Prinzip trifft diese Aufteilung auch auf uns zu. Im Übrigen wollte ich einst innenpolitischer Journalist werden. Zum Glück ist es anders gekommen.

Zur Person

Christoph Varga
geboren am 15.5. 1969 in Wien. Er studierte die Lehrämter Geografie und Wirtschaftskunde sowie Geschichte und Sozialkunde in Wien sowie Philosophie und Gruppendynamik an der Uni Klagenfurt.

Seit 1988 ist Varga mit Unterbrechung beim ORF. Zunächst beim Schülerradio vom Landesstudio Wien, später Nachrichtensprecher und Redakteur beim Radio, Auslandskorrespondent in Berlin.

Seit 2009 ist Varga „ZiB“-Ressortleiter „Wirtschaft“ und Moderator der „Pressestunde“.

Fabry

Alles Hypo?

Schuldenkrise und nicht zuletzt das Milliardengrab Hypo Alpe Adria haben auch den Journalismus verändert. Plötzlich rückt die Wirtschaft in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und liefert auch politische Schlagzeilen.

Josef Kalina war Kommunikationsstratege und Bundesgeschäftsführer der SPÖ und mehrere Jahre Journalist bei der „Kronen Zeitung“. Heute leitet er ein Beratungs- und PR-Unternehmen. Sein Gespräch mit Christoph Varga und Josef Urschitz wurde von Gerhard Hofer aufgezeichnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2014)

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