"Alpe Adria" als Hypo-thek

The headquarters of nationalised Hypo Alpe Adria are pictured behind a traffic light in Klagenfurt, file
The headquarters of nationalised Hypo Alpe Adria are pictured behind a traffic light in Klagenfurt, file(c) REUTERS
  • Drucken

Von der Zauberformel zum Schimpfwort: Wie ein verheißungsvoller Begriff durch die Machenschaften einer zu groß gewordenen Provinzbank eine andere Bedeutung bekam.

Das waren noch Zeiten: Die Mauer in Berlin stand fest und sicher, Jugoslawien war noch Jugoslawien, Italien wusste noch nichts von den politischen Ambitionen eines Bauunternehmers, und das südlichste Bundesland Österreichs hatte sich zwischen Großglockner und Karawanken eingeigelt und frönte dem Mittelmaß. Kärnten war zwar werbetechnisch „lei ans“, was der legendäre Landeshauptmann Leopold Wagner in der deutschen Fernsehsendung „Dalli Dalli“ kokett mit „nur eines“ übersetzte.

Die Einzigartigkeit, die damit wohl gemeint war, konnte man allerdings nur auf die landschaftliche Schönheit beziehen, in allen anderen Belangen entsprach Kärnten durchwegs dem österreichischen Durchschnitt. Abgesehen von der höchsten Rate unehelich geborener Kinder lag Kärnten in allen Statistiken – von der Wirtschaftsleistung bis zur Arbeitslosenrate – im Mittelfeld. Immerhin. Drei Jahrzehnte später ist Kärnten überall das Schlusslicht, und die Zukunft schaut düster aus – jetzt will man den armen Kärntnern auch noch den Zukunftsfonds wegnehmen. Gibt es eine Zukunft ohne Fonds?

Dabei hatte alles so gut begonnen. Irgendwann kam jemand auf die Idee, dass man aus dem Grenzland eigentlich mehr machen könnte. Der Tourismus war ins Stocken geraten, weil man die Zeichen der Zeit übersehen hatte. Während anderswo schon die Wellnesstempel aus dem Boden schossen, priesen Hotelschilder entlang des Wörthersees noch „Zimmer mit fließend Warm- und Kaltwasser“ an.

Der Jetset war längst weitergezogen, nicht zuletzt wegen des unsensiblen Umgangs mit einer kostbaren Kulturlandschaft, deren architektonische Juwele dem Verfall preisgegeben oder durch postmoderne Anbauten vollends verhunzt wurden. Es musste etwas geschehen! Daher kam das Zauberwort „Alpe Adria“ wie gerufen. Kärnten sollte lernen, endlich über seine südlichen Grenzen hinauszuschauen, seine Nachbarn einzubeziehen, ein anregendes Gemisch der Kulturen zu leben, eine Drei-Länder-Idee zu verfolgen!

Drei Länder? Das war ein wenig zu viel verlangt. Italien – das war in Ordnung. Man ging ohnehin gern nach Tarvis und Udine einkaufen, da sprachen die Kellner ganz gut Deutsch, und die Lira verlor stündlich an Wert. Und dann erst die italienische Jause! Einfach herrlich! Eine Ahnung vom Duft des Südens! Aber Jugoslawien? Oder ein paar Jahre später gar Slowenien? Was sollte man in einem Land zu schaffen haben, das dereinst gar einen Teil des schönen Kärntnerlandes annektieren wollte und zudem noch eine Minderheit im Land zurückgelassen hatte (oder so ähnlich)? Und warum sollte man noch mehr Slowenen, wenn auch nur als zeitweilige Gäste, im Land haben wollen? Zwar wurde eine lange Tunnelröhre durch die Karawanken getrieben, aber was Gott getrennt hat ...


Slowenien überholte Kärnten. Jahre später wurden die Kärntner von den Ereignissen überrollt. Slowenien blühte auf, überholte Kärnten in vielen wirtschaftlichen Bereichen, und tausende Kärntner fanden sich bald als „Gastarbeiter“ jenseits der Karawanken wieder. Der Flughafen von Ljubljana wurde wegen seiner internationalen Anbindung für viele Kärntner interessanter als der in Klagenfurt, und immer mehr Menschen wagten sich – als Alternative zu Grado und Lignano – an die herrliche slowenische Küste vor, um Städte wie Piran und Portorož zu erkunden. Und plötzlich fuhr man auch in die Goriška Brda oder ins slowenische Thermenland, um die Gastfreundschaft und den kulinarischen Reichtum der Region zu genießen.

An der Haltung zu Hause änderte sich aber wenig. Auch die gemeinsame Olympia-Bewerbung mit Slowenien und dem Friaul unter dem Motto „Senza confini“ (ohne Grenzen) ließ die drei Regionen nicht zusammenwachsen. Es wurde politisch auch kaum etwas unternommen, um eine Öffnung auf kulturellem Weg zu vollziehen, um den Menschen klarzumachen, welchen Reichtum es bedeutet, mehrere Wurzeln zu verbinden und ein einzigartiges Gemisch zu bilden. Stattdessen wurde auf Aus- und Abgrenzung gesetzt und auf eine rückwärtsgewandte Deutschtümelei, die in die Isolation führte. Noch heute bekommen gestandene Kärntner einen roten Kopf, wenn ihnen erläutert wird, dass das Kärntnerlied zu einem Gutteil slawischen Ursprungs ist. Und wenn man sie auf die slowenische Herkunft ihres geliebten Kärntner Reindlings anspricht, riskiert man eine standrechtliche Hinrichtung.

Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass schon ein müder Kompromiss in der Ortstafelfrage als historischer Erfolg gefeiert wurde. Anstatt der slowenischen Minderheit endlich das in vollem Umfang zu geben, was ihr laut Staatsvertrag zusteht – und dankbar zu sein dafür, dass ebendiese Minderheit erheblich zum Zustandekommen des Staatsvertrags beigetragen hat, weil es von dieser Seite wirklichen Widerstand gegen das Nazi-Regime gegeben hat.


Dubiose Geschäfte. Stattdessen wurde der „Alpe Adria“-Gedanke den Wirtschaftskapitänen überlassen – und den Abenteurern der Hypo Alpe Adria, die vor allem in Kroatien und Italien ihr Unwesen trieben. In Istrien gilt der Begriff „Hypo Alpe Adria“ mittlerweile als Inbegriff dubioser Geschäftspraktiken.

Dennoch ist die Idee „Alpe Adria“ nicht tot. Sie muss nur anders gelebt werden – als Vorstellung von einer Region, deren Teile einander gegenseitig befruchten und deren Einwohner neugierig aufeinander zugehen. Als faszinierendes Konglomerat, das die Reichtümer von Berg und Meer, die Eleganz des Nordens mit der Kraft des Südens verbindet – wie es die Winzer und Wirte längst vormachen. So könnte die Alpe-Adria-Region zum Vorzeigemodell Europas werden.

Zur Person

Martin Traxl
ist gebürtiger Kärntner, studierte Publizistik und Theaterwissenschaften und ist seit 1985 für den ORF tätig.

Seit 2007 ist er ORF-TV-Kulturchef und präsentiert den ORF-„Kulturmontag“. ORF

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.03.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.