Meteorologie

Wie konnte es in Libyen zu solch einer Unwetterkatastrophe kommen?

Nach dem Unwetter: die zerstörte Stadt Darna auf einem Satellitenbild.
Nach dem Unwetter: die zerstörte Stadt Darna auf einem Satellitenbild.APA / AFP / Handout
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Satellitenbilder zeigen das Ausmaß der Überschwemmungen in der libyschen Hafenstadt Darna. Klimaforscher erklären die ungewöhnliche Wetterlage, die zur Katastrophe im Bürgerkriegsland führte.

Das gesamte Ausmaß des verheerenden Unwetters im Mittelmeerraum, das im Osten Libyens zu tausenden Todesopfern und rund 10.000 Vermissten geführt hat, ist noch immer nicht klar. Satellitenbilder zeigen die Zerstörung in der Hafenstadt Darna, die am schwersten betroffen ist. Nach sinflutartigen Regenfällen kam es am Sonntag zu zwei Dammbrüchen. Die Stadt wurde daraufhin von einer Tusnami-artigen Flutwelle erfasst, die ganze Viertel samt Bewohner ins Meer mitriss.

Vorher - nachher: Ein Bild der Stadt Darna vom 7. September und vom 12.  September.
Vorher - nachher: Ein Bild der Stadt Darna vom 7. September und vom 12. September. APA / AFP / Handout
Auch hier sind die massiven Zerstörungen in Darna erkennbar: Bilder vom 2. September und vom 12. September.
Auch hier sind die massiven Zerstörungen in Darna erkennbar: Bilder vom 2. September und vom 12. September. Reuters / Planet Labs Pbc

Wie konnte es in dem nordafrikanischen Land, wo es in den betroffenen Regionen um diese Jahreszeit nur wenige Millimeter regnet, zu solch einer Naturkatastrophe kommen? Laut Georg Pistotnik von der Abteilung für Klimaforschung der Geosphere Austria hat es sich bei diesen Unwettern um einen „Worst Case“ gehandelt. Die Voraussetzungen, die zur Bildung des subtropischen Tiefdruckgebietes „Daniel“ geführt haben, ähnelten jenen bei tropischen Wirbelstürmen. Die Klimaerwärmung spiele hier eine durchaus „große Rolle“.

Warmes Mittelmeer, enorme Verdunstung

Die Grundvoraussetzung für die Vorkommnisse, die in den vergangenen Tagen auch Teile Griechenlands oder Bulgariens stark in Mitleidenschaft gezogen haben, bevor es nun in Libyen zur großen Katastrophe kam, liegen in den sehr warmen Meerestemperaturen. Dazu braucht es vor allem sehr große Flächen mit sehr warmer Oberfläche. Derart ausgedehnte Hochtemperaturgebiete bietet das relativ kleine Mittelmeer eigentlich selten. „Im Durchschnitt der letzten Jahrzehnte gab es in etwa zwei Tiefdruckgebiete pro Jahr, die solche Kriterien erfüllt haben– nämlich, dass sie einen warmen Kern haben“, so der Klimaforscher. Durch die enorme Verdunstung gelangen riesige Energiemengen in die Atmosphäre. Auf diese Weise entstehen auch tropische Wirbelstürme.

Dass sich die Situation nun derart verheerend entwickeln konnte, lag an einer „Verkettung ungünstiger Umstände“. Zuerst sind die Oberflächentemperaturen im Mittelmeer insgesamt großflächig höher als im langjährigen Schnitt. Im Ionischen Meer und östlichen Mittelmeerraum, wo sich das Tief entwickelt hat, sind es aktuell rund 28 Grad Celsius. Das sind um ein bis zwei Grad Celsius mehr als sonst um diese Jahreszeit. Das ist zwar nicht übermäßig mehr als sonst, aber doch ein entscheidender Faktor.

Dazu kam eine Wetterlage, in der sich das Tief von der restlichen Westwindzone abkoppeln konnte, erklärte der Meteorologe. So konnte der Wetterkomplex quasi unbehelligt lange über der großen, warmen Meeresoberfläche liegen bleiben und sich aufladen. „Typischerweise geschieht so etwas im Mittelmeerraum erst im Oktober oder November.“

Was ist ein „Medicane“?

Seitens der Wissenschaft sei genau so eine Situation zuletzt vielfach befürchtet bzw. erwartet worden. „Dass es genau heuer passiert ist, ist gewissermaßen ein Zufall“, so Pistotnik im Gespräch mit der APA: Man könne hier höchstwahrscheinlich von einem „Medicane“ sprechen. Dabei handelt es sich um ein Kunstwort, das sich aus „mediterranean“ und „hurricane“ zusammensetzt. Dafür braucht es Windgeschwindigkeiten von über 120 Stundenkilometern über zumindest eine Minute hinweg.

Mit dem fortschreitenden Klimawandel steige jedenfalls die Gefahr solcher Ereignisse auch auf Meeresflächen, die davon früher fast nicht betroffen waren. Auch hier komme zum Tragen, dass wärmere Luft mehr Energie in Form von Wasserdampf aufnehmen kann. Pistotnik: „Die Energiemengen, die hier im Spiel sind, schießen im wärmeren Klima regelrecht durch die Decke.“ In einem insgesamt wärmeren Umfeld werden Entwicklungen wie in den vergangenen Tagen wahrscheinlicher.

In den nun von „Daniel“ betroffenen Meeresgebieten wurde das Wasser nun stark durchmischt und abgekühlt. Das bringe dort zumindest mittelfristig Entspannung. Weite Teile des Mittelmeeres sind aber immer noch deutlich zu warm. So sei also nicht auszuschließen, dass es zu ein bis zwei weiteren, ähnlichen Sturmereignissen kommen könnte, so Pistotnik. (APA, red)

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