Gastkommentar

Der Neutrale und der Krieg

Peter Kufner
  • Drucken

Warum der European Sky Shield nicht jenen Frieden bringt, den wir wollen. Es braucht mehr als ein Muskelpaket gegen Raketen.

Wie wird Österreich sicher? Die einen sagen: Aufrüstung, Raketenwerfer, Panzer und damit doppelt auch besser hält: so nah wie möglich an die nuklear bestückten Militärmächte heran. Was gibt‘s dafür? Bestenfalls Abschreckungsfrieden in einem Meer von Rüstungsspiralen. Die anderen sagen: Setzen wir tunlichst auf Dialog! Frieden durch internationales Recht, Demokratisierung und menschliche Sicherheit. Dafür gibt’s kooperativen Ordnungsfrieden. Zugegeben: Beide Denkschulen haben seit Februar 2022 Schaden genommen. Also was tun?

Wie wahrscheinlich ist die quer über Nato-Territorium auf Österreich zusteuernde Rakete? Noch vor gut einem halben Jahr räumten Veit Dengler und Rainer Nowak im „Standard“ ein, die verirrte Rakete sei „weithergeholt und unrealistisch“. Und heute werden zwei Milliarden Euro für das deutsche Iris-T-System veranschlagt. Was es wirklich kostet, bleibt – eine alte Tradition bei Waffengeschäften – vorerst im Trüben. No na haben SPÖ und FPÖ eine Menge Fragen.

Vieles ist unklar

Ganz vieles ist wolkig, was die European-Sky-Shield-Initiative (ESSI) betrifft. Was tut Österreich, wenn feindliche Flugobjekte über unser Hoheitsgebiet hinwegflitzen? Was können und werden internationale Partner im schweren Krisenfall von Österreich verlangen? Was tun im Graubereich zwischen gemeinsamem Aufklären und dem, dass jeder Nationalstaat souverän „am Drücker“ sitzt? Welche Kriterien gibt es für die Stopptaste, wenn Österreich in Konflikte anderer Sky-Shield-Staaten über Raketendebatten hineingezogen wird? Teilen die im Sky-Shield-Boot sitzenden Nato-Staaten wirklich alle nötigen hochsensiblen Daten mit dem neutralen Österreich (Stichwort Geheimdienstkooperation)? Kommt das österreichische Geld aus dem praller werdenden Armeebudget oder gibt es extra Cash?

Sogleich wird reflexartig erklärt, Sky Shield sei mit der Neutralität vereinbar. Der Reflex ist seit den 1990ern bekannt. Die Regierungen haben über die letzten drei Dekaden viel Übung entwickelt, EU-Kampfeinsätzen, EU-Battlegroups, EU-Rüstungsfonds oder Waffenlieferungen blanko einen Neutralitätspersilschein auszustellen. Die unklaren Fragen zu Sky Shield sind sicherheitspolitisch hochrelevant, und einige haben durchaus Neutralitätsrelevanz.

Das Österreichische an all dem ist, dass flink Milliardenausgaben veranschlagt werden, während die Parteien aktuell ihre Positionen zur in Aussicht stehenden Sicherheitsstrategie debattieren. Der übliche Weg wäre: erstens die Herausforderung und zweitens die passenden Instrumente zur Bearbeitung. Der österreichische Weg: Sky Shield husch, husch vor der finalen Strategiedebatte ins Trockene bringen.

Milliarden verbucht ohne Ziel

Dieser Weg hat System. Vor dem Beschluss der aktuellen Sicherheitsstrategie, die aus dem Jahr 2013 stammt, wurde das Volk vorher über das Wehrsystem befragt. Die öffentliche Debatte kreiste um Schneeschaufeln und billige Zivildiener, während die bereits geschnitzte Strategie in der Schublade lag. Erst das Instrument, dann die Strategie lautet das Motto eines sicherheitspolitischen Kopfstandes.

Wenn Sky Shield das harmlose rüstungspolitische Einkaufssackerl einiger europäischer Staaten ist, um alles ein bisserl billiger zu kriegen, gäbe es genau dafür eigentlich ein EU-Instrument. Effizienz und Aufstockung der Rüstungshaushalte sind der Gedanke des auch erweiterten militärischen Kerneuropa (PESCO). Eurodrohne oder EU-Kampfhubschrauber werden unter dem Titel abgewickelt. Dass Paris nicht an Bord ist, zeigt nur, dass beim Ausbuchstabieren von Sky Shield Französisch die Fremdsprache ist. Alles Mögliche wird mit Sky Shield gestärkt, aber sicher nicht die Autonomie der EU. Während in Österreich von europäischen Dimensionen parliert wird, reden viele Deutsche Klartext: Die Allianz heißt Nato. Bemerkenswert ist, dass die sonst so „glühenden Europäer“ da mitspielen. Noch interessanter ist die Verengung der Debatte: Es geht nicht um ein Ja oder Nein zu Rüstungsprojekten, sondern nur um den stattfindenden Rahmen.

Wesentliche Teile der Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge sind außer Kraft oder erodiert. Das mangelnde Vertrauen zwischen Washington und Moskau ist eine der Ursachen, warum der Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) oder zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen (ABM) längst perdu ist. Das hat die Sicherheitslage bereits vor dem 24. Februar 2022 für Europa verschlechtert.

Österreichs Beitrag ist geboten

Neutral sein ist mehr als ein Muskelpaket gegen Raketen und Drohnen. Eine Haltung der Kriegsverweigerung – nicht mehr und nicht weniger ist die Neutralität völkerrechtlich – hat auch nach dem friedenspolitischen Mehrwert zu fragen. Der Atomwaffenverbotsvertrag, die Rolle als Gastgeber für Verhandlungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle (Iran-Deal oder NewSTART) sowie aktive Amtssitzpolitik sind als österreichische Beiträge international sichtbar. Wenn in der Weltpolitik nicht die Sonne scheint, hat Vertrauensbildung, die Schaffung von Berechenbarkeit und Krisenprävention durch den Neutralen besondere Glaubwürdigkeit. Da ist Österreichs Beitrag wirklich geboten.

Thomas Roithner, Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Uni Wien, Mitarbeiter im Versöhnungsbund.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.
>>> Mehr aus der Rubrik „Gastkommentare“

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.