Replik

Das Grundrecht auf Eigentum ist kein heiliges Menschenrecht

Christian Ortner mag das Eigentumsrecht für heilig halten, er kann sich aber nicht auf die Grundrechts-Charta der EU berufen.

In einem seiner jüngsten „Quergeschrieben“ (7. 9.) unterstellt Christian Ortner dem Moralphilosophen Adam Smith (1723–1790) die Autorschaft für einen seiner irrigen Glaubenssätze und verdreht eine kluge Mahnung der angesehenen Ökonomin Claudia Kemfert in ihr Gegenteil, um dann zu widerlegen, was diese nie gesagt hat.

Wer das Goldene Kalb anbetet, mag das Eigentumsrecht für heilig halten, und es steht auch Ortner frei, ein Recht zur grenzenlosen Anhäufung von Eigentum an die erste Stelle seines privaten Grundrechtskatalogs zu stellen. Er kann sich dabei allerdings nicht auf die Grundrechts-Charta der EU berufen. Die Charta listet nämlich 50 verschiedene Grundrechte auf, und es ist kein Zufall, dass das Eigentumsrecht erst an 17. Stelle steht. Vor dem Eigentumsrecht rangieren das Recht auf Würde, Leben, Unversehrtheit, Schutz gegen Sklaverei und Zwangsarbeit und das Recht auf Freiheit, alles Rechte, die durch die übermäßige Konzentration von Privatbesitz akut gefährdet sind. Die Charta gestattet deshalb ausdrücklich den Entzug von Eigentum „aus Gründen des öffentlichen Interesses“. Sie gestattet aber unter gar keinen Voraussetzungen den Entzug von Leben, Unversehrtheit und Menschenwürde. Es ist also nicht Claudia Kemfert, die das Eigentumsrecht relativiert, sondern die Rechtsordnung selbst.

Noch viel weniger kann sich Ortner auf Adam Smith berufen, dem er den unsäglichen Satz in die Schuhe schieben möchte, nur das egoistische Gewinnstreben sei die Voraussetzung für allgemeinen Wohlstand. Smith hat so etwas nie geschrieben. Eine solche Behauptung wäre auch ebenso unsinnig wie die ihr entgegengesetzte, dass privates Gewinnstreben die Ursache der Erderwärmung, des Artensterbens, des Abschmelzens der Polkappen und des Brennens der Regenwälder sei. Beides ist gleich falsch. Privates Gewinnstreben und der Schutz des privaten Eigentums können positive Wirkung haben, wenn sie in eine Wirtschaftsordnung eingebettet sind, die auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist und die sozial und ökologisch verträgliche Ausübung dieser Individualrechte sicherstellt.

Voraussetzung für Wohlstand

Das und nichts anderes sagt Claudia Kemfert, wenn sie, in Übereinstimmung mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, an die auch im Artikel 14 des Deutschen Grundgesetzes normierte Sozialbindung des Eigentums erinnert: „Privateigentum und individueller Profit dürfen nicht zum Fetisch werden, dem wir unseren Planeten, unsere Lebensgrundlage opfern.“

Kemfert steht damit in der Tradition ausnahmslos aller Repräsentanten des jüdisch-christlichen und des muslimischen Kulturkreises, und ihre Mahnung ist leider mehr als notwendig im Angesicht einer Wirtschaftsordnung, die die Anhäufung eines Privatvermögens im Wert von 200 Milliarden Dollar durch eine Einzelperson zulässt. Die damit verbundene Machtkonzentration gefährdet Demokratie, Freiheit und Wohlstand der überwältigenden Mehrheit aller Menschen. Sie erlaubt einigen wenigen Einzelpersonen Eingriffe in das soziale Leben, durch die viele Millionen Menschen in Not und Armut gestürzt werden.

Eine der zahlreichen spürbaren Folgen der Fetischisierung des Eigentumsrechts ist, dass sich immer mehr Menschen keine halbwegs akzeptable Wohnung mehr leisten können. Das ist nur ein Beleg für die Tatsache, dass nicht ungezügeltes, egoistisches Gewinnstreben, sondern eine grundrechtskonforme Einhegung des Eigentumsrechts die notwendige Voraussetzung für allgemeinen Wohlstand ist.

Sven Hartberger (* 1958) ist Jurist, Intendant, Dramaturg und Autor. Seit März 2021 ist er Sprecher der Gemeinwohl-Ökonomie Österreich.   

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