Der Fluchtweg ist heute als „Chemin Walter Benjamin“ gekennzeichnet.
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Walter Benjamins Flucht vor den Nazis: In Portbou war Endstation

Der spanische Grenzort Portbou war in den 1940er-Jahren Hoffnungsziel für Flüchtlinge vor Hitler und dem Terror der Gestapo. Einer davon war der Philosoph, Kulturtheoretiker und Dichter Walter Benjamin. In der Nacht vom 26. auf den 27. September 1940 nahm er sich dort das Leben.

Dort, wo die Grenze zwischen Frankreich und Spanien verläuft, stürzen die Ausläufer der Pyre­näen schroff in das Mittelmeer. Nördlich der Grenze liegt die Côte Vermeille, deren Azur schon Henri Matisse gepriesen hat, und an deren Küste Orte mit lockenden Namen angesiedelt sind: Callioure, Port Vendres, Banyuls und Cerbère. Südlich des Gebirges, unmittelbar nach dem Bahntunnel, der hier neben den Schmugglerpfaden ein Jahrhundert lang die einzige Verbindung zwischen Nord und Süd war, liegt der Ort Portbou an der Costa Brava.

Welch seltsamer Name: Portbou. Dunkel der Klang, dunkel die Vokale. Mitunter getrennt in zwei Worte: Port Bou. Das lässt auf einen Hafen schließen, aber der war immer unbedeutend und ist es heute noch. Wichtig wurde Portbou als Bahnhof. Als Drohung oder Krönung liegt er beherrschend über dem Ort: optisch durch seine überdimensionale Größe, wirtschaftlich als Endpunkt der spanischen Eisenbahnen und in den 1940er-Jahren als Hoffnungsziel für Abertausende Flüchtlinge vor Hitlers Schergen und dem gnadenlosen Terror der Gestapo.

Einer der Flüchtenden war der deutsche Philosoph, Kulturtheoretiker und Dichter Walter Benjamin. Portbou war seine Endstation. In der Nacht vom 26. auf den 27. September 1940 nahm er sich das Leben. In einem winzigen Zimmer des schmalen, rot gestrichenen Hotels Francia. Das Morphium hätte er bei sich geführt, liest man in den bisweilen sich widersprechenden Dokumenten.

1892 in Berlin geboren, stammte Walter Benjamin aus assimiliertem, jüdischem Bürgerhaus mit musischen Interessen und vielen Büchern. Er dissertierte summa cum laude mit seiner später berühmt gewordenen Arbeit „Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik“, war gut integriert in der Intellektuellenszene Deutschlands um Brecht, Kracauer, Horkheimer, Adorno oder Hannah Arendt sowie Mitglied des einflussreichen ­Instituts für Sozialforschung. Benjamin war scheu, hochsensibel, mit der Aura des Außerordentlichen umgeben. Mit seinen akademischen Ambitionen blieb er jedoch erfolglos, und mit Abschied endeten alle seine Liebesbeziehungen. Zu seinen Lebzeiten wurden nur schmale Bände, Zeitungsartikel und Übersetzungen von Baudelaire und Proust publiziert, der Großteil seiner Schriften erst posthum. Alle jedoch blieben lebendig und die Geister scheidend bis heute, unter anderem: „Einbahnstraße“, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit“, „Berliner Kindheit um neunzehnhundert“, „Über den Begriff der Geschichte“ sowie sein ­unvollendetes monumentales Hauptwerk ­„Passagen“.

Gestapo beschlagnahmte Archiv

Seit der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 war Walter Benjamin auf der Flucht. Flüchtete nach Paris, wo er bis 1939 lebte, immer am Existenzminimum und von Freunden unterstützt. Bei Kriegsausbruch wurde er für drei Monate im Lager Vernuche interniert, kehrte nach Paris zurück und musste nach dem deutschen Sieg über Frankreich im Juni 1940 weiterfliehen. Die Gestapo durchsuchte seine Wohnung, beschlagnahmte das umfangreiche Archiv seiner jahrelangen historisch-philosophischen Studien sowie einen Großteil der Bibliothek. Nur wenig davon konnte Georges Bataille in einer Provinzbücherei verstecken und retten. Benjamin flüchtete über Lourdes in das heillos von Hilfesuchenden überfüllte Marseille, das von der NS-treuen Vichy-Regierung kontrolliert wurde, und schließlich über Empfehlungen nach Port Vendres und Banyuls. Dank Hilfe der jungen Lisa Fittko, die zur wagemutigen Fluchthelferin wurde, gelang ihm schließlich die vermeintlich rettende Überquerung der Pyrenäen. Am 26. September 1940 erreichte er Portbou.

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